Venus
gar keine Frau. Plötzlich sieht er sich selbst von außen, riecht seinen eigenen Gestank, findet sich hässlich, abstoßend, eine Zumutung und hat die Aghoris im Verdacht, ihn an der Nase herumgeführt zu haben. Hat er wirklich Allah gedient? Was ist so schlecht daran, gut zu riechen, saubere Fingernägel zu haben und anderen zu gefallen? Er hört Kukis Fußkettchen klingeln wie die Glocken göttlicher Verheißung. Er greift nach einer Kerze und läuft Richtung Badezimmer.
»Hier«, ruft Kuki und wirft ihm ein T-Shirt und eine Hose nach, die sie in aller Eile aus dem grünen Spendensack gezogen hat. Der Scheich nimmt die Sachen an sich, dreht sie, betrachtet sie und dreht den Badewannenhahn auf.
Kuki hat bereits in jeder Backe einen Muffin und wendet sich Maria Magdalena zu, mit der sie noch nie ein Wort gewechselt hat, weil auch sie dachte, die junge Frau sei entweder stumm und taub oder debil, auf jeden Fall aber Togas treu ergebener Spitzel.
»Setz mal die Brille ab«, fordert sie sie mit geblähten Hamsterbacken auf und mustert sie aufmerksam. »Silberner Lidschatten würde dir gut stehen. Und warum versteckst du deine Haare immer? Ich könnte sie dir mal hochstecken. Soll ich?« Sie löst das Tuch von Maria Magdalenas Kopf und fährt prüfend durch das dicke, glatte, schwarze Haar der Asiatin, das schwer ist und von fester Struktur. »Offen sieht ein bisschen langweilig aus. Willst du vielleicht Locken?« Maria Magdalena kichert, schiebt die gelbbraune Babyhand vor perlmuttfarbene flache Zähne und hat dank unseres Muffinzaubers alle Scheu verloren. Kuki nimmt die so plötzlich verwandelte Asiatin sachte bei der Hand: »Komm, Mariechen, wir machen dich schön!«
Der Kleinbus ist indessen an dem ökologischen Supermarkt angekommen, bei dem die Glücklichen Sklaven seit Jahren Stammkunde sind und Discount beziehen. Doch noch bevor Toga Aufgaben verteilen kann, läuft Mau davon, wie ferngesteuert, die Duschhaube in der Hand, in T-Shirt und Shorts. Als Erklärung schleudert er ein »will nur mal kurz …« hinter sich, verschwindet in der kerzenbeleuchteten schwulen Barlandschaft der Christopher Street und ward nicht mehr gesehen.
Toga, die kleinen stark behaarten Hände wie Luftwurzeln gen Himmel erhoben, zählt das übrig gebliebene Häuflein der Aufrechten. Ein Kindergärtner bin ich, denkt er, ein Kindergärtner des Herrn, und diese Kinder sind weiß Gott schwer erziehbar. Er weist Alien und Winter an, die Bänke aus dem Kleinbus zu montieren und Platz für die Waren zu schaffen. Boone und Bringfriede sollen sich beim Chef des Supermarktes melden und inAbstimmung mit diesem die Produkte aus den Kühlregalen einpacken.
Venus wird mit der Beleuchtung des dunklen Supermarkts betraut, die das Flair einer verlassenen Fabrikhalle hat, ganz ohne Neonlicht und Fahrstuhlmusik. Sie hält einen Arm voll weißer Altarkerzen wie Blumen, verteilt sie entlang der Kühlregale und verschleißt einige der klammen Streichhölzer, ehe sie die stämmigen Kerzen zum Brennen bringt. Der Supermarkt bekommt sofort einen persönlichen, fast märchenhaften Anstrich, goldenwarm, romantisch fast, mit zuckenden Lichtflecken an der Gipskartondecke. Der Bliss Swami, Sun Baba und das Kind werden nun zu Venus in Richtung Gefriertruhen geschickt, eine Richtung, die sie sich erst imstande sehen einzuschlagen, als der Swami den alten Yogi huckepack nimmt, ohne messbare Reaktion bei diesem. Toga geht natürlich zu Recht davon aus, dass der Alte eine Hilfe ist, da er ja täglich auf dem Dach Gemüse schält. Ihm, der stets von sich behauptet, dass ihm nichts verborgen bleibe, ist Venus’ karitativer Einsatz verborgen geblieben. Das Kind will nun auch huckepack, also kommt Venus und stellt ihren schmalen Rücken zur Verfügung. So zieht unser nicht zum Zug kommendes Liebespaar mühselig und beladen durch die unendlichen Weiten des kerzenflackernden Supermarktes.
Die Kühltruhen befinden sich an der hinteren Wand, Yogi und Kind werden direkt davor abgesetzt. »Was hast du denn da?«, fragt nun auch Venus und greift nach dem kleinen Plastiktäschchen, das um den Hals des Kindes hängt. Diesmal leistet er keine Gegenwehr. Sie öffnet die Tasche und findet ein mehrfach gefaltetes amtliches Dokument. »Jason Myers«, liest sie. »Das ist mein Dad, das ist mein Dad«, ruft das Kind. Stumm zeigt Venusdem Swami das Dokument. Es bestätigt das negative Ergebnis eines Vaterschaftstests.
»Hiob! Guck mal!«, kreischt indessen Bringfriede
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