Venus
quietschvergnügt, »wenn ich dieses Wasser zu Wein machen kann, trinkst du die Flasche dann mit mir aus?« In ihrer Hand schwenkt sie eine Flasche kalifornischen Chardonnay.
»Moment mal, der nicht, der wird ja nicht schlecht«, sagt der Supermarktchef, der einen Vollbart und einen langen Pferdeschwanz trägt. Er will ihr die Flasche aus der Hand nehmen, aber sie lässt nicht los.
»Das geht in Ordnung, ich bezahle«, sagt Boone, der über sich selbst hinauswächst, der sich innerhalb der letzten halben Stunde vom schlecht gekleideten Opa im Vorruhestand zum Gentleman aufgeschwungen hat, und drückt dem erfreuten Supermarktchef zwanzig Dollar in die Hand.
»Kann nicht rausgeben, krieg die Kasse nicht auf.«
»Stimmt so«, sagt Boone generös.
»Kriegst du die auf?«, fragt Bringfriede und setzt sich im Dämmerlicht der Kerzenbeleuchtung auf den Boden.
»Was, hier?«, fragt Boone.
»Ja, wo denn sonst, Hiob«, sagt Bringfriede, die strahlend ihre Zahnlücken zeigt, die in der letzten halben Stunde von der verhuschten Irren zum verführerischen Weibchen mutiert ist. Sie zieht ihn mit zwei dünnen Armen an sich: »Viel Zeit haben wir nicht mehr, mein Lieber! Die Welt ist schon in Dunkelheit gehüllt.«
An ihnen vorbei schleppt der Bliss Swami Kartons mit tiefgekühlten Lebensmitteln, vier, sechs, acht auf einmal. Er schleppt sie nicht, er jongliert sie wie Tennisbälle. Er ist der Einzige, der wirklich arbeitet, aber er tut es spielerisch, nebenher, als sei es eine Freude.
Der Kleinbus ist bereits voll. Alien und Toga fahren los, um die erste Fuhre in die Tempelkirche zu bringen.
Boone schwitzt. Ein Königreich für ein frisches Hemd! Er stellt fest, dass er selbst in nüchternem Zustand nicht ganz unempfänglich für den koboldhaften Charme seiner Begleiterin ist. So draufgängerisch hat noch nie eine Frau mit ihm gesprochen. Mit dem rechten Daumen drückt er den Korken in die Flasche, eine seiner leichtesten Übungen. Aber halt! Hier schreckt er körperlich regelrecht auf. Er schnappt sogar nach Luft, so bedeutsam scheint ihm die rückwirkende Erkenntnis, zumal sie für seine Apfelblüte entlastend zu sein scheint, nein, entlastend ist . Er sieht es genau, sein fotografisches Gedächtnis lässt keinen Zweifel zu, sie hat die Streichhölzer mit der linken Hand angefacht: Die Apfelblüte ist Linkshänderin! Die Tatwaffe wurde von einem Rechtshänder geführt! Seine Haltung strafft sich. Er ist auskuriert. Er muss ins Büro, er muss die Akten einsehen.
»Noch eine Stunde«, sagt Bringfriede und faltet kokett die Hände: »Wir wünschen dem Herrn einen goldenen Tisch, auf allen vier Ecken gebratenen Fisch.« Spricht’s, zieht die Flasche an sich, nimmt einen tiefen Zug und reicht sie dem Inspektor.
Der findet Bringfriede so geistreich, so amüsant, so besonders, so schön, dass wir einen Moment lang fürchten, wieder überdosiert zu haben. Er trinkt und gibt ihr die Flasche zurück: »Und dann?«
Sie prustet los, das rosige Gesicht des Inspektors mit feinem Weinnebel bestäubend; sie lacht, weil ihr neuer Freund nicht weiß, was doch die Spatzen von den Dächern pfeifen; ihre Augen blitzen im frauenfreundlichen Licht der Kerzen. »Na, dann geht die Welt unter!«
*
»König der Kürbisrassel, Chango ist wohlhabend. König der Kürbisrassel, Chango ist wohlhabend«, singt Arjuna.
Dann läuft er drei vorher abgemessene und geprobte Schritte rückwärts, auf das geöffnete Zimmerfenster zu, über seinen traurigen Löwenkopf wirft er das flatternde schwarze Huhn, in dem jetzt Baulas Dämon wohnt, aus dem Fenster hinaus. Wäre er strikt den Anweisungen der Zeremonie gefolgt, so hätte er das Huhn erst schlachten und ihm dann die Zunge herausreißen müssen. Doch Arjuna ist ein zutiefst friedfertiger Mensch. Er entschließt sich, das Huhn am Leben zu lassen, das jedenfalls ist der Irrglaube, dem er erliegt, dass das Huhn am Leben bleiben würde, dass es wegfliegen könne, wenn er es aus dem Fenster würfe.
Kleine Sünden werden bekanntlich sofort bestraft; bei der ungewohnten Bewegung verrenkt sich Arjuna das Kreuz und geht stöhnend zu Boden. Das Huhn fliegt mitnichten, es ist ein echtes New Yorker Huhn, ein Großstadthuhn, das zwar Flügel hat, aber deren Zweck nicht kennt. Es handelt sich um seit Generationen gestutzte Flügel, die nur zum Schmuck da sind, obwohl sie nicht mal wirklich schmücken. Das Huhn geht auch zu Boden, dem unumstößlichen Gesetz der Erdanziehung Rechnung tragend, wie ein nasser Sack
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