Venus
kühlt seinen Körper mit dem Wasser der Mutter Ganga.
Nun steckt er beide Hände in den Eistopf, diesmal führt er sie direkt in seinen zahnlosen Mund. Er bestreicht seinen mageren Heuschreckenkörper mit der kühlen schmelzenden Eiscreme. Seine flachen zurückgebildeten Kiefer mümmeln. Er schmatzt. Seine Zunge fährt heraus und holt die Reste. Er schaufelt nun mit beiden kalten nassen Händen die Eiscreme aus der Packung und benetzt sein Gesicht damit. Er vergräbt seine eingefallenen Augen, seine sonnenverbrannte Nase, seine hohlen Wangen, seinen lippenlosen Mund im Eis. Er reibt seine schlaffen Ohren, seine verfilzten grauen Haare damit ein. Er kichert leise. Er verteilt die schmelzende, würzige, kalte Creme auf seinem Schildkrötenhals, seiner eingefallenen dürren Brust, auf den knochigen Schultern, auf seinem mit einem Pflock durchstoßenen, plötzlich schmerzenden Geschlechtsteil. Er isst sie. Er trinkt sie. Er wird übergossen von edlem Metall, erfasst und gehalten von übergroßen Händen. Ekstatisch fühlt er sich, göttlich, wie Shiva, der Herr des Feuers. Du kannst Kashi verlassen, denkt er, aber Kashi wird dich nicht verlassen.
*
Das Greenwich Village gleicht einem einzigen großen Darkroom. Rings um den Waverly Place schwirrt die Luft, ist nichts als ein einziges männliches Pfeifen und Baggern zu hören, ein Flirten und Fummeln und Gurren und Kichern. Mau ist im »Sonnenkönig« angekommen, einer Kellerkneipe, die in jedem Touristenführer steht. Hier werden schon seit Jahrzehnten abends von grobschlächtigen Transvestiten Musical-Melodien im Falsett vorgetragen. Die Kneipe gehörte vor drei Jahren noch Ely, seinem Verflossenen. Vor der Tür qualmen Grills, dem Verderb preisgegebene Gemüse und Fleischbrocken verbreiten schwelend-rauchige Düfte. Und mitten in den Rauchschwaden der Brutzeleien steht er: Ely. Es gibt ihn noch. Er ist noch da.
Beide fallen einander um den Hals, beleidigen sich gegenseitig zärtlich, Maus Leibesfülle und Elys verdächtiger Abgezehrtheit wegen. Sie beglückwünschen sich zum Drogenentzug und feiern ihr unverhofftes Wiedersehen. Zum ersten Mal seit Jahren setzt sich das bittere Bieraroma wieder auf Maus Zunge ab, schlägt er seine Zähne wieder in zerrig-saftig-aasige Fleischstücke, zum ersten Mal seit Jahren küsst er wieder einen anderen Menschen, spürt Lippen, Atem, Bartstoppeln, Zunge. Er umarmt den wiedergefundenen Geliebten. Er ist nicht schön, nicht blau, nicht geschmückt wie die Statue seines Gottes, aber er lebt. Mau ist in Maya. Es geht doch nichts über die warme, pulsierende, leicht klebrige Halsbeuge eines lebendigen Mannes, denkt er.
Im »Sonnenkönig« herrscht das anonyme Klima eines türkischen Bades mit beschlagenen Spiegeln. Es riecht nach Alkohol, Tabak und warmem Herrenparfüm auf verschwitzter Haut. Die fünf mit Kondenswasser beschlagenen Männer im »Sonnenkönig« spielenFlaschendrehen. Der, auf den die Flasche zeigt, muss traditionsgemäß ein Kleidungsstück ausziehen und soll dann die größte Sünde beichten, die er jemals begangen hat.
Alle sind berauscht von Heineken und handwarmen Cocktails. Einer, ein Latino mit blondierten Haaren, ist schon fast nackt. Die Kerzen sind zu schiefen Stümpfen heruntergebrannt, die Taschenlampenlichter werden dunkler, die Sterne haben sich verschämt abgewandt. Um Sünden ist Mau nicht verlegen, aber er ist mit Abstand der Dickste in der Runde, und allein der Gedanke an die Entblößung seiner Speckfaltenlandschaft bringt ihn in die Bredouille. Er verflucht jeden verdammten Muffin auf seinen Hüften. Fast sehnt er sich zurück in die Geborgenheit der Glücklichen Sklaven, wo er unter heiligen Holzpuppen und gläubigen Heterosexuellen war, die sich nicht stießen an seiner Fettheit und seiner Fresssucht. Doch nun, ganz plötzlich, ist er wieder sein Körper und nichts als sein Körper, und der ist nun mal fett.
Als ihn die Flasche zum ersten Mal erwischt, entsinnt er sich glücklicherweise der Duschhaube, reißt sie aus der Tasche, stülpt sie sich auf den Kopf, zieht sie wieder herunter und wirft sie unter Protestpfiffen der anderen in den Kreis.
»Billiger Trick«, raunzt Ely und bufft Mau in die Seite.
»Ich jedenfalls kann nicht schummeln«, sagt tuntig der Blondierte und legt die Hand auf sein strammes Hosenpaket.
»Warte, Schwester«, sagt ein rothaariger Junge mit durchtrainierten tätowierten Armen im Scharfrichterton, »noch mal kommst du uns nicht so davon. Was ist deine
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