Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
keimten in Maeve auf, als sie sich gedanklich auf das Wasser und das Ufer konzentrierte.
Gedankenschnell hatte sich die Welt um sie herum verändert und sie an den Ort gebracht, der eben nur in ihrer Vorstellungskraft existiert hatte. Taumelnd kam sie am Ufer zu stehen und ließ sich zu Boden gleiten. Tatsächlich würde auch sie bald Essen zu sich nehmen müssen, um den Blutverlust auszugleichen. Aber noch nicht jetzt. Jetzt benötigte sie Wasser, um sich daran zu erinnern, wer sie war. Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die innere Anspannung. Der tiefe Riss in ihrem Inneren schrie nach ihr und seine Kraft gen Wahnsinn schien wieder stärker zu werden. Einen Moment lang wollte sich alles in ihr fallen lassen, einfach in der Dunkelheit des Nichts verschwinden und wieder den geistigen Frieden der Umnachtung finden.
Ohne ihre Kleidung auszuziehen, machte Maeve drei entschlossene Schritte nach vorne und tauchte in das Wasser des jäh abfallenden Sees. Eisigkalt riss das flüssige Element die Vampirkönigin von dem drohenden Abgrund fort und katapultierte sie zurück in ihre Erinnerung in ein anderes Wasser.
9
Sie musste eingeschlafen sein.
Als Judith die Augen erneut öffnete, war das Innere der Perle nicht mehr das Innere der Perle, das sie kannte. Obwohl sie sich immer noch am selben Ort befand, hatte sich alles verändert. Aus ihrem Gefängnis war ein großes Zimmer geworden. Gemütlich und so zweckdienlich ausgestattet, dass sie sich an den Kopf griff, um sich davon zu überzeugen, dass sie selbst real war und dies hier kein Traum.
Sie stand auf und das nächste, was ihr positiv auffiel war der Boden. Es gab einen. Er war eben!
Erleichtert atmete sie auf. Der Vampir hatte sie an einen anderen Ort gebracht.
Doch wo war das Monster? Verärgert presste Judith die Lippen zusammen, während sie nach der dünnen Satinbettdecke griff und sich in sie hüllte. Danach betrachtete sie ihr Gefängnis. Eine Designer-Sitzecke mit Glastisch. Eine kleine Schrankwand mit Plasmafernseher und Stereoanlage. Mit gerunzelter Stirn ging sie zu dem Glastisch. Der Fernseher funktionierte – hatte aber keinen Empfang. Dasselbe Ergebnis erhielt sie mit dem Radio. Sie würde auf CDs zurückgreifen müssen. Aber immerhin: Judith legte den Kopf schräg und überflog einzelne Titel. Es war ihre gesamte CD Kollektion, samt und sonders. Wie war das möglich?
Nachdenklich prüfte sie die DVDs und die Bücher im benachbarten Regal. Ihre, die gelesenen und die ungelesenen.
Sie drehte sich um und marschierte mit großen Schritten durch den Raum. Etwa 15 mal 20 Schritte maß ihr Reich.
Etwas entgeistert wandte sie sich dem Kleiderschrank zu. Er passte farblich zu der Sitzecke und dem Bettgestell und nahm wesentlich mehr Platz ein als der Schrank in ihrem Zimmer. Plötzlich hatte sie Angst. Wenn der Vampir ihreUmgebung verändern konnte, konnte er ihr auch die Kleidung zur Verfügung stellen, die er für angemessen hielt.
Trotzdem riskierte sie einen Blick. Moderne Kleider, klassische Kleider, festliche Kleider. Entsetzt ging sie die Bügel durch, bis sie zu den Röcken kam. Dort wiederholte sich das Spiel: Modern, klassisch, festlich. Ebenso bei den Oberteilen. Es gab nicht eine einzige Hose, keine Shorts – und keine kurzen Kleidungsteile. Nichts Beinfreies. Dabei waren ihre Beine das Beste an ihrem ganzen Körper. Nahezu zeitgleich zu diesem Gedanken schalt sie sich selbst. Schließlich hatte sie nicht vor, irgendjemanden – geschweige denn einen gewissen gut aussehenden Vampir – zu reizen.
Sie griff nach einem blauen Kleid mit Spaghettiträgern. Der Stoff war wundervoll und die Farbe würde ihr atemberaubend gut stehen. Bedauernd fuhr sie mit den Fingern über das Kleidungsstück, genoss einen Augenblick lang das Gefühl der fließend weichen Textile unter ihren Händen, dann hing sie das Kleid wieder zurück. Es war nicht ihres, würde es niemals sein. Alles in diesem Zimmer war nicht ihres. Nicht einmal die Bücher, die denen aus ihrem Zimmer nachempfunden waren. Gewohnt, pragmatisch zu denken öffnete Judith eine der Kommodenschubladen. Unterwäsche in allen Farben und Formen reihten sich fein säuberlich geordnet auf Bügel. Schwarz und weiß und rot und rosa, Spitze, Satin und Samt und allesamt ein besseres Hauch Nichts.
Sie stöhnte. War der verdammte Vampir einen Katalog durchgegangen? Und hatte sich dafür entschieden, ihr nichts Zweckmäßiges zukommen zu lassen? Sie stutzte, als ihr ein beängstigender Gedanke kam.
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