Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
der sie von einem Monster zu einer Gefangenen gemacht worden war, die Angst davor, dass er oder ein anderer Vampir ihr Geheimnis erfuhr, ihre Zweifel an ihrem Vater, der Verlust ihrer Mutter. Und sie weinte, weil dieser Ort, Idylle hin oder her, nur ein schwacher Trost war für die Liebe, die sie eine Nacht lang gespürt hatte … bevor Joel entschlossen hatte, dass sie nicht wert war, von ihm geliebt zu werden.
Sie berührte einen der roten Abdrücke, die ihre helle Haut zierten und fuhr seine exakten Konturen nach. Joels Zeichen. Der Gedanke brachte sie erneut zum Schluchzen.
Sie trug noch seine Zeichen, aber er war weg, hatte geschworen, nie wieder zurückzukommen und ihr als Abschiedsgeschenk ein kleines Paradies angeboten. Entschlossen ballte Judith die Hände zu Fäusten und zwang ihre Atmung dazu, sich zu beruhigen. Sie wollte kein Paradies, sie wollte ihr Geheimnis schützen undsie wollte ihn. Mit weniger würde sie sich nicht zufrieden geben. Aber wie einen Vampir zu sich locken, wenn man in einer verdammten, kleinen Perle steckte?
Sie gab einen frustrierten und wütenden Ton von sich und grinste, als der Laut nicht von der Brandung verschluckt, sondern von den entfernten Wänden ihres Zimmers zurückgeworfen wurde. Unwillkürlich musste sie an den Film »Horton hört ein Hu« denken: Auch kleine Wesen können genug Krach machen, um von den Großen gehört zu werden. Zumindest, wenn sie einen möglichst hohen Ort aufsuchten und dort laut genug waren.
Ein neues Geräusch riss sie aus ihrer Überlegung und lenkte ihre Aufmerksamkeit ab. Hinter ihrem Zimmer schien sich eine ganze Affenbande zu auszutoben. Zumindest, wenn man der Lautstärke Glauben schenkte.
Judith stand auf. Zögernd löste sie sich von der eingebildeten Sicherheit ihrer Wohnung und machte zwei Schritte nach vorne. Doch erst nach weiteren zwei Schritten konnte sie an dem kleinen Steinhäuschen, welches im Inneren ausschließlich aus ihrem Zimmer bestand, vorbeisehen.
Ein Dschungel mit einer Tiefe von etwa 100 Metern erstreckte sich vor ihr und nahm die gesamte Länge des 15 Meter tiefen Strandes in Beschlag. Nur langsam ging Judith auf, was an diesem Bild verwunderlich war. Unwillkürlich stauend wanderte ihr Blick nach oben. Und noch höher. Berge!
Hinter dem malerisch verklärten Dschungel mit kleinen Trampelpfaden erstreckten sich Berge, die bis in etwas reichte, was Judith als Himmel bezeichnen musste. Unten begannen sie im Dschungel, dann ging die Begrünung über in Laub- und Nadelwälder, die von kleinen Almen unterbrochen waren. Und die Spitzen der Berge waren schneebedeckt.
Judith kicherte. Vielleicht sollte sie sich doch besser für die Idylle entscheiden?
Andächtig fuhr sie mit der Handfläche über ihre unbedeckte Haut und verharrte über jedem Gebissabdruck mit sanftem Druck. Sie taten immer noch weh, aber es war ein guter Schmerz. Voller Erinnerungen und Versprechungen. Doch durch seinen Schwur hatte er die Versprechungen in etwas Widersinniges verkehrt. In eine Ablehnungshaltung, die sie zuvor schon in seinen Augen gesehen hatte. Er wollte sie nicht. Fand sie … sie suchte nach einem passenden Wort, das nicht zu sehr schmerzte.
Doch weder unattraktiv noch uninteressant gaben wieder, was sie in seinem Gesicht gelesen hatte, als er sie Am-Morgen-Danach zum ersten Mal berührt hatte. Als er aus ihrem Bett geflohen war. »Abstoßend« war das Wort, welches am besten passte.
Der Gedanke schnürte ihre Kehle zu. Sie verstand es nicht. Wie konnte er ihre Berührung hassen, wenn er sie doch zu seiner Frau gemacht hatte. Zu jemandem,den er gefangen hielt und über den er offenbar frei verfügen konnte? Wieso hatte er mit ihr geschlafen? War es bloßer Instinkt gewesen? Der Geruch ihres Blutes? Danach oder dabei hätte er sie doch töten können? Sie korrigierte sich selbst, denn töten konnte er sie nicht. Nicht, wenn er annehmen musste, dass sie wusste, wo ihr Vater oder das Artefakt, das ihr Vater angeblich gestohlen hatte, waren.
Und wieso war ihr Vater der Meinung, dass sie seine Geliebte werden würde? Wenn er wirklich so schlau war, wie Joel behauptet hatte – hätte er den anderen Vampir dann nicht durchschauen müssen? Wissen müssen, dass Judith ihn anekeln würde?
Plötzlich war sich Judith nicht mehr so sicher, ob eine erneute Begegnung mit Joel tatsächlich zu etwas Gutem führen würde. Vielleicht sollte sie die Dinge einfach so belassen. Einfach nichts tun und ihn gehen lassen.
Aber das widersprach ihrem
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