erlauben, dass ich Sie mit Vornamen anspreche? Es klingt für mich vertrauter. Ich mache mir Sorgen. Seit Tagen habe ich nichts mehr von Josefa gehört. Aber da sie eigentlich fast schon übergenau ist, wundert mich dies schon sehr. Ihre letzte Nachricht kam aus Paris. Und sie schrieb von einem Claude, den sie kennengelernt hat. Ich gehe einmal davon aus, dass sie das auch Ihnen mitteilte. Nur – ich kenne Josefa sehr viel länger – und deshalb kann ich mir so etwas gar nicht bei ihr vorstellen. In Sachen ›Männer‹ ist sie eher naiv, wenn ich dies einmal so schreiben darf. Misstrauisch und verhalten. Welche charmanten Worte haben sie derart umgekrempelt? Wenn sie verliebt ist – natürlich gönne ich ihr das. Aber sie glaubt – im Widerspruch zu ihrem Misstrauen gegenüber Männern an das Gute. Menschen sind gut. Ach, du je.
Ich möchte nicht, dass irgendein gutaussehender Franzose sie veralbert und womöglich ausnimmt. Josefa kann ungeheuer großzügig sein, kann schenken und verleihen. Außerdem steht ein anwaltlicher Termin an. Worum es gehen soll, weiß ich nicht. Geht mich auch nichts an. Aber wenn Josefa den vergessen sollte – dann ist ihr etwas zugestoßen. Zumindest würde sie den Herrn Dr. Magerkorn um eine Verschiebung des Termins bitten. Der Termin ist am 24. Oktober um 15:30 Uhr. Und da meldet sie sich nicht, reagiert auch nicht auf seine und meine Anrufe … Nur ihre Mailbox geht ran.
Wie gut, dass ich absolut freie Hand beim Disponieren der Ware habe. Es ist verrückt – die Leute wollen in dieser Saison nur Krimis. Egal, ob Jung oder Alt. Selbst der Bürgermeister fragte nach Krimis. Und, als hätten sich alle abgesprochen, sie wollen nichts mehr von Serientätern und äußerst grausamen, blutigen Ritualen lesen, nein, spannende Raffinesse mit einem Schuss lächelnder Skurrilität muss es jetzt sein. Sicher, es gibt da einige Titel, die diese Vorgaben erfüllen. Aber sonst? Soll ich sie mir aus den Rippen schälen? Ich selbst bin ja überaus begeistert von der Autorin Olga Tokarczuk. Das müssen Sie unbedingt lesen. Der Gesang der Fledermäuse . Ich hab’s dem Bürgermeister empfohlen – der braucht durchaus Nachhilfe in Sachen Umweltschutz. Und über die Natur schrieb die Autorin eben auch in diesem Krimi.
Ich merke, ich komme vom Thema ab. Passiert mir leicht, wenn es um Bücher geht. Also. Sollten Sie inzwischen etwas von Josefa gehört haben, rufen Sie mich an. Oder mailen Sie. Vielleicht bin ich auch nur überbesorgt. Vielleicht steht sie am Montag lachend in der Ladentür.
Mit herzlichen Grüßen
Ihre Dorothea Wansleben
Von:
[email protected] An:
[email protected] ,
[email protected] Gesendet: Donnerstag, 25. Oktober, 22:58 Uhr
Betreff: Sterben bei der Telekom
Gerda, Josefa,
ich konnte mich nicht melden – mein verdammter Exmann hat meinen Telefonanschluss gekündigt … und damit auch meine Verbindung ins Internet gekappt. Ja, das kann der, kann jeder: einfach bei der Telekom anrufen. Die wollen gar nicht wissen, ob man selbst dran ist. Wisst Ihr, was der denen erzählt hat? Ich sei verstorben!
Der hat sie nicht alle, und es hat mich eine Menge Papierkrieg gekostet, mich wieder unter die Lebenden zu bugsieren. Ich musste meine Geburtsurkunde schicken, beglaubigt vom Amt. Erst dann haben die mich wieder freigeschaltet. Also – sterben geht einfacher, zumindest bei der Telekom.
Und dann finde ich das Chaos vor. Du warst die Tusse, Gerda? Ich lach mich schlapp – und muss wissen, wo Du die Schuhe herhast. Die brauch ich auch oder ich komm und reiß sie Dir von den Füßen. Wenn ich gewusst hätte, dass eine Kundin bei Dir einsteigt, ich hätte sie beauftragt, die Schuhe zu klauen.
Und sagt mal – der Termin von Josefa war gestern. Josefa, wo steckst Du, und warum zum Teufel mailt uns eine Frau Wansleben an?
Gerda, wenn Josefa mit ihrem Charmeur in Paris untertaucht, dann kauf doch ihre Buchhandlung. Kleiner Scherz, obwohl – könnte man da drinnen ein Café einrichten? Ich hätte gerne meinen eigenen kleinen Laden. Mit ganz speziellen Sachen, nichts Abgehobenes, aber amerikanische Cheesecakes, italienische Schokoladentorten. Internationale Kalorienbomben. Die kann ich selbst backen und darf das auch, so viel hab ich auch ohne Internet rausbekommen. Einen Businessplan darfst Du, Josefa, aber nicht von mir erwarten. Das ist nicht mein Ding.
Meinen Hühnerbaron hab ich übrigens auch mal auf Eis gelegt. Und Frank tanzt mir immer noch auf der Nase rum. Soll