und der Mond
Ach, Sue,
da komme ich von meiner Reise zurück – (ich muss zwischendurch trotzdem in den Spiegel gucken – ja, ich bin’s tatsächlich. Und sehe gut aus). Bei mir wurde eingebrochen. Die Hintertür war einen Spalt weit offen. Nein – keine Fragen – ich schließe immer ab, wenn ich weg bin. Ich bin keine Vergesserin. Jemand hat mein Arbeitszimmer, also mein Wahrsagezimmer, verwüstet. Der Laptop ist zertreten und auf dem Monitor des PCs klebte ein Zettel.
›Lügnerin. Ganz große Lügnerin! Sie werden bald eine große Freude erleben!
Dass ich nicht lache. Die Freude geht fremd, und wie. Und Sie blöde Kuh haben mir das nicht geweisssagt.‹
Diese dämliche, grottendämliche Frau O. Denn die Schrift habe ich gleich erkannt. Wahrscheinlich sollte ich das auch, oder Frau O. hat nicht weit genug gedacht. Ganz klar ist, dass die enge, kurze, linksgerichtete Schrift mit den fadendünnen Unterlängen von ihr stammt. Sie wohnt vier Kilometer von mir entfernt. Das ist so eine Grapscherin, alles will sie. Frau O. hatte übers Internet jemanden kennen und vor allem lieben gelernt. Ich meine, da kann ich ihr doch weitere Freuden prophezeien – schließlich geht die Sache seit fünf Monaten gut. Eingezogen ist er bei ihr – nur mit ein paar Klamotten und mit sonst nichts. Jedenfalls hat die O. mir das erzählt. Bis hierher fand sie ja alles wunderbar, auch dass er ihr im Haushalt sehr umsichtig half. Nur letztens, als sie bei mir war, sagte sie, er sei arbeitslos und telefoniere ständig übers Handy – ohne Flatrate. Und sie habe die Rechnungen bezahlen sollen, er bekäme bald einen supergut bezahlten Job, in welcher Branche wusste sie allerdings nicht. Frau O. ist Sekretärin in einem großen Betrieb, also tagsüber nicht da. Nun, da wird sich der Herr wohl die Zeit anders vertrieben haben. Aber – was kann ich denn dafür?
Jedenfalls – das habe ich mir vorgenommen – rufe ich weder die Polizei noch erzähle ich das außer Euch jemandem. Meine externe Festplatte hatte ich ja bei mir und die USB-Sticks auch. Was die O. nicht wusste – der Laptop war sowieso hin – ich hatte vor meiner Abreise einen neuen bestellt. Aber das konnte sie nicht wissen. Sachbeschädigung, Vandalismus, Einbruch. Nein, ich werde alles aufräumen, aber erst morgen und dieses Theater, wenn die Leute ihr tägliches Glück nicht bekommen, mache ich bald nicht mehr mit. Ich will hier weg!
Bin ich wütend. Jetzt kann ich überhaupt nicht mehr schlafen. Ich denke über die angebotenen Buchhandlungen nach. Was mit mir werden soll? Ach Josefa, ich beneide Dich! Was macht Claude?
Jetzt wäre es mir am liebsten, wir drei säßen so richtig fein irgendwo zusammen. Denn eigentlich solltet Ihr mich bewundern. So, wie ich jetzt aussehe.
Ich überlege gerade, ob meine Kunden auch weiterhin kommen? Bin ich jetzt nicht zu schick, zu schön, bin ich nun Konkurrenz für meine weiblichen Kunden? Und die Männer?
Ihr merkt, es gibt keine Kittelschürze mehr.
Was mache ich jetzt? Der Mond scheint so rund herein. Augenblick mal … Bin wieder da.
Jetzt läuft leise Musik, tschüss liebe Freundinnen, ich tanze, ich tanze mit dem Mond, und er lässt mich träumen.
Gerda
Von:
[email protected] An:
[email protected] ,
[email protected] Gesendet: Dienstag, 16. Oktober, 05:30 Uhr
Betreff: Krisselfältchen um den Mund
Liebe Sue und liebe ferne Josefa,
nun hab ich ausgetanzt und schön war es. Vor mich hingeträumt und jetzt räume ich auf. Wenn die O. wiederkommen sollte, und das wird sie, weil sie sich ihren nächsten Tag alleine schon gar nicht mehr vorstellen kann und auch ihr Geld aus einem fetten Erbe unbedingt unter die Leute bringen muss – also, wenn sie kommt, sag ich ihr für die nächsten Wochen eine Zukunft voraus, dass es kracht, sie sich windet, heult und jammert, dass sie in den 60 Minuten, in denen ich ihr weissage, um Jahre schrumpft. Sie fiese Fältchen um den Mund bekommt, so dass ihr Hausfreund sie nicht mehr küssen mag, sie ab sofort ein dickes Knie hat, humpeln muss, und dies so gar nicht mehr elegant und leichtfüßig aussieht. Dass ihr das Haar ausgeht, mausegrau wird und nur noch wie Flusenfäden auf ihrem dämlichen Schädel liegt.
War’s das? Jetzt geht’s mir besser.
Eure Gerda – und die Rachegedanken ziehen gen O.
9.
Von:
[email protected] An:
[email protected] ,
[email protected] Gesendet: Freitag, 19. Oktober, 14:20 Uhr
Betreff: Josefa Hansen
Liebe Sue, liebe Gerda,
Sie