Venusbrüstchen: Roman (German Edition)
versucht, gleichzeitig zu lachen, zu weinen und zu trinken? Es ging nicht, wir hatten beide Blubberwasser in der Nase, Schluckauf und Tränen in den Augen. Ja, Josefa. Du fehlst. Aber ehe Du da oben auf Deiner Wolke rührselig wirst oder mir den Vogel zeigst – ich denke an Deine Worte. Habe sie noch genau im Ohr.
»Sue«, sagtest Du, »ich bin dir nicht böse. Im Gegenteil. Irgendwie hast du recht. Ich bin selbstsüchtig gewesen, wie ich euch als meine Freundinnen wollte. Ohne euch die Chance zu geben, mich freiwillig zu nehmen. Ich bin in euer Leben geplatzt und wollte es besser machen. Ich hatte ein so schönes Leben …«
»Josefa, aber …«
»Nein, lass mich ausreden. Ich habe das Gefühl, nichts bleibt. Du weißt, ich habe keine Kinder.«
»Willst du mich adoptieren?«, versuchte ich zu scherzen, obwohl ich einen dicken Kloß im Hals hatte.
»Gott bewahre, bei dir ist doch in Erziehungsfragen Hopfen und Malz verloren!«
Dunja sprang von meinem Schoß und sauste aus dem Zimmer, als Dein Lachen durch den Hörer schepperte.
»Nein, es geht mir nicht um die Weitergabe meiner DNA. So toll ist die nicht.«
»Du siehst bestimmt phantastisch aus«, widersprach ich.
»Ach, wenn du wüsstest. Ich trage meine Haare jetzt sehr kurz.«
»Wie M in James Bond? Wow.«
»Kürzer. Außerdem will ich mich weder mit Daniel Craig im verregneten Schottland rumtreiben noch von einem Bösewicht in die ewigen Jagdgründe geschickt werden.«
»Nein, besser nicht, dann müsstest du uns einen Porzellanmops vererben.«
Wieder hast Du gelacht. Ich bot Dir noch einen Lebkuchen an, durchs Telefon, Du wolltest noch einen Tee dazu.
»Lass mich schnell noch das Elementare sagen, Sue. Ich hatte viel im Leben. Wunderbare Eltern, den schönsten Beruf der Welt an einem Ort, den ich liebte. Aber … scheiße, ich heul gleich … ich hatte nie eine beste Freundin. Und nun habe ich gleich zwei.«
»Hör auf zu heulen, sonst heul ich mit!«
»Ich bin nicht sehr geübt in Freundschaftsdingen. Meine Schulfreundin Marion saß nur neben mir, weil sie die Leberwurstbrote meiner Mutter liebte und von mir abschreiben durfte. Glaube ich. Ich habe sie nie gefragt.
»Ich hasse Leberwurst.«
»Ich auch!«
Ich hörte, wie Du tief eingeatmet hast. »Sue, ich möchte, dass du und Gerda wisst, dass ich nicht über euch bestimmen möchte. Ich will nur eine Freundin sein.«
»Das bist du, Josefa, und wie du das bist.«
»Danke. Und jetzt zieh nicht dauernd die Nase hoch, sondern geh endlich an die Tür, bevor derjenige noch fünf Minuten lang klingelt!«
»Ach, der hört schon auf!«
»Und wenn es der Postbote ist mit einem fetten Gewinn?«
»Na gut, du hast mich überzeugt. Ich geh ja schon. Übrigens, hast du deine Venusbrüstchen schon geerntet?«
»Nein. Die sind bei mir nichts geworden. Liegt vielleicht am Klima.«
Leider hast Du nicht gesagt, welches Klima. Aber Du hast »hmmm« gemacht, als ich Dir sagte, dass die Venusbrüstchen tomatiger als Tomaten schmecken. Süß. Saftig. Ein klein bisschen sauer. Gerade richtig.
Und dann haben wir aufgelegt.
Es war nicht der Postbote. Es war Frank. Er wollte meine Küche kaufen. Für sich und seine neue Schnecke. In dem Moment wusste ich, dass ich die 200 Euro vom türkischen Familienvater nicht nehmen würde. Und es tat verdammt gut, Frank die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Herrje, ich muss Schluss machen. Gerda schmatzt im Schlaf, das macht sie immer kurz vor dem Aufwachen. Und dann hat sie Hunger. Wie gut, dass ich vorhin ein neues Käsekuchenrezept ausprobiert habe, mit viel Orangenaroma im Quark. Eine Bitte noch, Josefa, bevor ich den Brief zusammenrolle, in die Flasche stecke und versiegele, damit er zu Deiner Asche ins Meer gelangt: Wenn Du da oben auf Deiner Wolke die Möglichkeit hast, den netten Schreiner dazu zu bringen, sich mal den Bart abzurasieren … dann wäre er ein perfekter Mann für den zweiten Blick.
Leb wohl, liebe Freundin.
Deine Sue
18.
Oberbüttelbakenfehn (monde)
Katze Dunja bewacht das Gebäude. Aber pünktlich zum
1. März wurde die alteingesessene Buchhandlung Hansen am Marktplatz wieder eröffnet. Der Name ist geblieben, die Besitzer haben gewechselt. Das Geschäft wurde erweitert und nun haben die Oberbüttelbakenfehner ein feines Café dazubekommen, das ›Venusbrüstchen‹.
Die kürzlich verstorbene Josefa Hansen, ehemalige Bürgerin unseres Dorfes, hinterließ ihren Freundinnen Sue Mayer und Gerda Beinlich die Buchhandlung mit der Auflage, aus den
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