Venuskuss
Außergewöhnliche Umstände verlangten eine außergewöhnliche Handlungsweise.
Und außergewöhnlich stellte eine sehr diplomatische Umschreibung für das Verhalten ihrer Freundin Kate dar, mit der sie hier in der St. James Street logierte. Denn statt auf Wolken zu schweben, wie es Katherine angesichts ihrer leidenschaftlichen Affäre mit dem Marquess of Wexford tun sollte, schlich sie seit zwei Wochen sichtlich bekümmert herum und erweckte den Anschein, jeden Moment in Tränen auszubrechen. Jedoch schmetterte sie alle Fragen mit einem Schulterzucken und einer vagen Handbewegung ab, obwohl Serena unaufhörlich nach der Wahrheit bohrte.
Es konnte nicht am Marquess liegen. Justin betete den Boden an, auf den Kate ihren zierlichen Fuß setzte. Ohne Zweifel würde er sie noch vor Ablauf des Jahres vor den Traualtar führen. Er war ein attraktiver Mann mit Titel und Vermögen. Die beiden verband nicht nur eine gemeinsame Vergangenheit, auch alle dunklen Wolken, die bis vor kurzem über ihrer Zukunft gelegen hatten, waren mittlerweile verschwunden.
Sowohl Kate als auch Justin waren Gefangene im Palast des Paschas von Alexandretta gewesen. Allerdings hatten sie sich erst auf dem Schiff kennengelernt, das sie beide wieder nach England zurückbrachte. Kate war aus dem Harem des Paschas geflohen und Justin hatte man nach zehn Jahren Gefangenschaft unerwartet freigelassen. Über die Einzelheiten ihrer Beziehung hatte Kate nie viel gesprochen, aber dass sie Justin liebte, lag auf der Hand. Daher gab es keinen Grund, warum sie nicht froh und glücklich sein sollte.
Serena lehnte die Stirn an die Tür. Kate sollte glücklich sein, und sie würde dafür sorgen, dass die Freundin das bekam, was sie selbst ein paar wunderbare Jahre lang besessen hatte. Eine Beziehung, geboren aus Liebe und Leidenschaft, aus Vertrauen, Hingabe und Verlangen, die nichts und niemand beenden konnte. Nicht einmal der Tod.
Wie eine Vision tauchte Wills Bild vor ihren Augen auf. Will, der leblos auf dem Bett lag, auf dem sie sich unzählige Male wild und leidenschaftlich geliebt hatten. Serena schluckte. Selbst jetzt, drei Jahre später, wurde ihr die Kehle eng, wenn sie daran dachte.
Seit sie wieder in London war, hatte sie einige Liebhaber gehabt, aber statt Will zu vergessen, brachte ihr jeder einzelne drastisch zu Bewusstsein, dass es nie wieder so sein würde, wie während ihrer achtjährigen Ehe mit William Morris, Lord of Dexter. Zwar befriedigten diese Männer – mehr oder weniger – die Sehnsüchte ihres Körpers, aber keiner von ihnen erreichte ihre Seele oder ihr Herz. Natürlich wusste sie, wie dumm sie war, Vergleichbares zu erwarten. Oder auch nur zu suchen. Sie hatte einmal eine perfekte Liebe erleben dürfen, wie viele Menschen konnten das schon von sich behaupten?
Aber dass Kate dieses Geschenk des Schicksals achtlos wegwarf, würde sie nicht zulassen. Niemals. Was immer zwischen Kate und Justin vorging, sie würde alle Hebel in Bewegung setzen, um die beiden zusammenzubringen. Egal, wie hoch der Preis dafür war.
Das Geräusch eiliger Schritte drang an Serenas Ohr. Kate huschte in einen dunklen Umhang gehüllt die Treppe hinunter zur Eingangstür. Also doch. Statt mit Kopfschmerzen früh zu Bett zu gehen, wie sie vorgegeben hatte, stahl sie sich zu abendlicher Stunde ohne einen Mucks aus dem Haus.
Serena verließ ihren Beobachtungsposten und lief Kate nach, hinter der gerade die Tür ins Schloss fiel. Ohne nachzudenken riss sie den Schlag der vor dem Haus wartenden Mietkutsche auf und sprang ins Innere des Wagens, der prompt anfuhr. Serena landete unsanft auf der Bank gegenüber Kate. Das Mädchen kauerte in der Ecke und starrte sie fassungslos an.
„Du sagst mir jetzt auf der Stelle, was los ist“, herrschte Serena Kate an. „Seit Tagen schleichst du wie ein Geist durch mein Haus, du stehst völlig neben dir, deine Augen schwimmen in Tränen, die du vor mir nicht weinen willst, und du siehst Justin mit einem Ausdruck an, der mir das Herz aus der Brust reißt und mir gleichzeitig das Blut gefrieren lässt. Also, was ist passiert?“
Jede Farbe war aus Kates Gesicht gewichen. „Du … du … darfst das nicht wissen … du musst aussteigen … sofort …“, stammelte sie verstört.
„Das werde ich nicht tun!“ Kampflustig verschränkte Serena die Arme vor der Brust und funkelte sie zornig an.
Kates Schultern sackten nach vorne und sie fiel buchstäblich in sich zusammen. „Das Schreiben für Justin hatte einen
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