Verbannt
Nebel vor meinen Augen verwirbelte und löste sich auf. Langsam konnte ich Clints Gesicht wieder deutlich erkennen. Dieses Mal gehorchte mir mein Arm, als ich ihm befahl, sich zu heben, und so reichte ich hinauf und ließ meinen Daumen die Träne fortwischen, die an seiner Wange hinunterrann.
„Mir geht es jetzt gut.“ Meine Stimme war nur ein schwaches Flüstern.
„Danke, Göttin“, stieß er heiser aus.
Ich bemerkte, dass seine Arme zitterten.
„Und dir?“ Meine Hand sank kraftlos auf meinen Schoß, und ich drückte meinen Rücken etwas fester gegen die Eiche.
Clint verlagerte sein Gewicht auf seine Fersen und erhob sich, um sich gleich darauf neben mich ins Gras zu setzen. Auch er lehnte sich gegen den Baum. Ich spürte, dass er mich beobachtete, aber ich drehte meinen Kopf nicht, um seinen Blick zu erwidern. Stattdessen schaute ich über die Lichtung und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war.
In dem Moment öffnete sich der schiefergraue Himmel, und zierliche Flocken sanken geräuschlos auf die Erde.
„Es schneit“, sagte ich sanft.
Ich spürte, dass Clint überrascht aufschreckte.
„Glaubst du, du kannst dich jetzt schon vom Baum entfernen?“
Ich nickte schwach. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie frisch es war und wie kalt meine schweißnasse Kleidung an meinem Körper klebte. Etwas steif rappelte Clint sich auf die Füße. Ich streckte ihm meine Hände entgegen, und er zog mich hoch, bis ich vor ihm stand. Dann reichte er mir ein paar Handschuhe und zog selber welche an.
„Kannst du laufen?“, fragte er.
„Ja.“ Meine Stimme klang immer noch seltsam, aber zumindest steckte ich wieder fest in meinem Körper. Meine Knie waren ein wenig weich, und mir war etwas schwindelig, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich laufen konnte.
Ich schaute zum Himmel hinauf. Aus den feinen Flocken waren dickere, daumengroße Kleckse geworden. Der Wind hatte aufgefrischt und blies sie uns in einem spitzen Winkel ins Gesicht. Ich zitterte und zog den feuchten Kragen meines Mantels enger um meinen Hals.
„Wir müssen in die Hütte zurückkehren.“
Clints Besorgnis war deutlich zu hören. Er hakte mich unter, und gemeinsam traten wir aus dem Schutz der beiden Bäume in den windgepeitschten Schnee.
Ich war noch ein wenig wacklig auf den Beinen und stützte mich auf Clints Arm. Als wir den Rand der Lichtung erreichten und unter den Baldachin des Waldes traten, ging mein Atem bereits in schweren Zügen. Langsam suchten wir unseren Weg durch das Unterholz, bis wir den schmalen Pfad fanden. Ohne mir Zeit zu geben, zu verschnaufen, zog Clint mich mit sich, bis wir an einer besonders alt aussehenden Eiche ankamen. Dort führte er mich die paar Schritte vom Weg ab zu dem mächtigen Baum. Wie benommen ließ ich mich gegen den heilenden Stamm sinken. Mit geschlossenen Lidern sog ich seine Wärme und die Ströme seiner Kraft in mich auf.
„Ruh dich aus, Geliebte der Epona“, flackerte es durch meinen müden Kopf.
„Bist du so weit?“
Zu bald schon drängte Clint mich zum Aufbruch. Der Weg zurück zur Hütte nahm surreale Züge an. Ich stolperte, mich an Clints Arm klammernd, vorwärts, bis ich nicht mehr konnte. Dann führte Clint mich wieder zu einem alten Baum. Ich kam mir vor wie ein teilweise geladenes Handy – meine Gedanken zersplitterten und verteilten sich in alle Himmelsrichtungen.
Der allgegenwärtige Oklahoma-Wind wurde immer stärker, bis der Schnee auch das dichte Dach des Waldes durchdrang. Das Tageslicht schwand, und meine zerstückelten Gedanken fragten sich, wie viel Zeit wir auf den Versuch verwendet hatten, die Tür nach Par-tholon zu öffnen. Ich musste die Frage laut ausgesprochen haben, denn Clints Antwort beendete die Stille.
„Stunden.“ Seine Stimme spiegelte seine Erschöpfung wider. „Es wird schon bald dunkel.“
Ich schnappte überrascht nach Luft.
„Du schaffst es, mein Shannon-Mädchen. Wir sind fast zu Hause.“
Er versuchte, ermutigend zu klingen, als wir unseren Weg fortsetzten.
Zu Hause – das Wort schien in der schneegeschwängerten Luft zu hängen. Die Trauer in ClanFintans verebbender Stimme klang immer noch in meinem Herzen nach.
Ich stolperte über eine Stufe und zuckte erschrocken zurück. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Clint legte einen Arm um mich, und halb trug, halb zog er mich die Treppe zur Hütte hinauf.
„Setzt dich hierhin. Ich mache schnell ein Feuer.“
Ich ließ mich in den Schaukelstuhl fallen und sah zu, wie er sich
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