Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
hingehen … und um
dich davon zu überzeugen, wird die gute Lily unglückerweise noch benötigt.“
Er
hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, als Rasmus plötzlich nach vorn
stürzte. Er flog praktisch das letzte Stück des Weges hinauf, an dem perplexen
Sam vorbei, und in weiten Sätzen steuerte er auf mich und den Mann im
Kapuzenpullover zu. Im selben Moment nahm ich eine andere Bewegung hinter ihm
wahr: Die Frau hatte jetzt ebenfalls beinahe das Ende des Pfades erreicht, im
Laufen bückte sie sich und griff nach etwas, und als Rasmus nur noch wenige
Schritte von mir entfernt war – als ich den Mund aufriss, um eine Warnung zu
rufen – hob sie die Pistole und drückte ab.
Die
Kugel traf Rasmus in den Rücken, und seine Augen weiteten sich in namenlosem
Erstaunen, bevor er auf dem Boden aufschlug.
16.
Kapitel
Verwirrung
und für eine Sekunde fast so etwas wie Unsicherheit huschten über Sams Gesicht,
als er zu ahnen begann, dass ihm sein Spiel entglitt.
„Engel
mit Schusswaffe getötet?“, murmelte er und ging langsam auf die
zusammengekrümmte Gestalt zu, unter der sich allmählich eine Blutlache
ausbreitete. „Das wäre etwas ganz Neues.“ Er blieb einen halben Meter von
Rasmus entfernt stehen und streckte seinen Fuß nach ihm aus, und dann, endlich,
hatte ich meine Stimme wieder.
„Bleib
weg von ihm!“, schrie ich und warf mich nach vorne, bis sich die Finger des
Mannes hinter mir tief in meine Haut gruben. „Rühr ihn ja nicht an!“
Sam
würdigte mich keines Blickes. Mit einigen Tritten schob er Rasmus‘ T-Shirt hoch
und beugte sich dann über ihn. Zuerst konnte man wegen des vielen Blutes gar
nichts erkennen, aber als Sam mit der Schuhspitze etwas davon wegwischte, kam
die Wunde zum Vorschein: Eine Handbreit unter dem Schulterblatt hatte die Kugel
ein tiefes Loch in eine der Flügelnarben gerissen. Ich spürte, wie sich die
Tränen ihren Weg über meine schlammverkrusteten Wangen bahnten, doch Sams Miene
wirkte wieder völlig beherrscht.
„Interessant“,
meinte er, als betrachtete er ein kurioses Ausstellungsstück und kein
sterbendes Wesen. „Offenbar hat man dort oben dafür gesorgt, dass wir doch
einen wunden Punkt haben – beziehungsweise zwei verwundbare Streifen.“
Ich
musste würgen und wurde von einem Husten geschüttelt, der in ein trockenes
Schluchzen überging. Sam warf mir einen Blick zu und zog die Augenbrauen hoch,
als ertappte er mich dabei, wie ich mir eine peinliche Blöße gab.
„Krieg
dich wieder ein, es ist nur ein Streifschuss“, erklärte er kalt. „Es fängt auch
schon an zu heilen. Allerdings wird es wohl eine Weile dauern, bis dein
Liebster sich wieder halbwegs erholt hat – das verschafft mir die Gelegenheit,
alles in Ruhe vorzubereiten.“ Damit packte er Rasmus an den Unterarmen und
schleifte den reglosen Körper auf den Abgrund zu.
„Was
hast du vor?“, rief ich schrill, doch Sam hielt nicht einmal inne, während er
zurückgab:
„Zu
jedem finsteren Masterplan gibt es einen Plan B, wusstest du das nicht?“
Endlich ließ er Rasmus los, sodass dieser mit dem Gesicht nach unten nur wenige
Zentimeter von der Felskante entfernt auf dem Boden landete. Ich starrte auf
Rasmus‘ schwarzes Haar, das nass an seinem Kopf klebte und ihn jünger wirken
ließ als sonst, auf seinen entblößten Nacken, auf seine linke Hand, die in
meine Richtung wies und an deren Gelenk die Plakette des Lederarmbands zu
erkennen war … überallhin, um nur nicht auf die Wunde an seinem Rücken schauen
zu müssen.
„Und
jetzt zu dir“, begann Sam gedehnt und lenkte meine Aufmerksamkeit damit wieder
auf sich. Er drehte sich zu der Frau um, die immer noch an der Stelle stand,
von der aus sie auf Rasmus geschossen hatte. Ihre Hände waren in den Taschen
ihrer Jeans vergraben, sie schien sich hinter dem nassen Vorhang ihrer Haare
verstecken zu wollen und wirkte so trotz ihrer ausgemergelten Figur und der
hohlen Wangen nur wenige Jahre älter als ich.
Sam
kam auf sie zu, neigte sich dann zu ihr hinunter und fuhr mit dem Zeigefinger
über ihr Kinn. Es war eine fast liebevolle Geste, doch als der Blick der Frau
zu ihrem Freund hinüberhuschte, schlug Sam ihr so heftig ins Gesicht, dass ihr
der Kopf in den Nacken geworfen wurde.
„Schau
mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede“, befahl er scharf. „Du dachtest
also, du müsstest deinen Gefährten verteidigen? Bildest du dir ein, dein oder
sein Leben hätte einen anderen Wert, als mir bei der Durchführung meines
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