Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
in den Raum zu folgen. Dort
erklärte er in knappen Worten die Situation. Während ich untersucht wurde,
nickte er mir aufmunternd zu; doch als er sich einmal umdrehte, um der Ärztin
eine Kühlkompresse zu reichen (wie ich vermutet hatte, war mein Handgelenk bloß
geprellt), sah ich für einen Moment sein Gesicht im Spiegel über dem
Waschbecken. Noch immer war er aschfahl, und ohne sein gezwungenes Lächeln war
deutlich zu erkennen, wie sehr ihn die ganze Sache mitgenommen hatte.
„Das
muss jetzt fünfzehn Minuten gekühlt werden, bevor ich dir einen Verband anlegen
kann“, verkündete die Schulärztin und strich sich ein karottenrot gefärbtes
Löckchen hinters Ohr. „Inzwischen können wir ja den Unfallbericht ausfüllen.“
Routiniert
beantwortete ich die mir wohlbekannten Fragen; nur an der Stelle, an der eine
genaue Beschreibung des Unfallhergangs gefordert wurde, geriet ich kurz ins
Stocken. Dann behauptete ich, mir selbst sei die Reckstange entglitten und bei
meinem Versuch, sie aufzufangen, auf meinem Handgelenk gelandet. Ich vermied
es, Sam anzusehen, während die Schulärztin diese Version der Geschichte
anstandslos niederschrieb. Anschließend holte sie meine Akte aus dem
Sekretariat, um den fertigen Bericht einzuheften. Zuerst hegte ich die
unvernünftige Hoffnung, dass die Angelegenheit damit erledigt sein würde, doch
da geschah das Unvermeidliche: Die Schulärztin begann in dem Ordner zu
blättern.
„Deine
Akte ist beeindruckend“, bemerkte sie nach einigen Minuten mit einem
merkwürdigen Unterton in der Stimme, „und das meine ich durchaus nicht im
Positiven.“ Kopfschüttelnd las sie vor: „Quetschungen, Gehirnerschütterungen,
Knochenbrüche – ein Biss von einer giftigen Spinne und leichte Verbrennungen im
Gesicht nebst völlig abgebrannten Augenbrauen?“ Sie zog ihre eigenen perfekten
Brauen so hoch, dass sie unter ihrem orangefarbenen Pony verschwanden.
„Das
eine war in Bio, das andere in Chemie“, murmelte ich widerstrebend. Die
Schulärztin verkniff sich einen Kommentar und durchforstete weiter meine Akte,
wobei sie das Pausenklingeln entweder nicht wahrnahm oder schlichtweg
ignorierte. Bevor sie an die Stelle kam, die davon berichtete, wie ich mich auf
eine gesprungene Klobrille gesetzt und mir dabei den Oberschenkel
aufgeschnitten hatte, unterbrach ich sie schließlich ungeduldig: „Ja, ich weiß,
ich bringe mich selbst ständig in Lebensgefahr. Ich sollte mir wohl einen
besseren Schutzengel zulegen. Kann ich jetzt gehen?“
Dass
die Schulärztin derart auf meinen vielen Unfällen herumritt, ärgerte mich vor
allem deshalb, weil es Sam noch mehr zu beunruhigen schien. Er brachte es nicht
einmal mehr fertig, mich anzuschauen, sondern starrte durch die geöffnete Tür
ins Sekretariat, während er um Fassung rang. Ich folgte seinem Blick und sah
dort ausgerechnet Rasmus stehen, der ein Formular ausfüllte – obwohl er uns den
Rücken zugekehrt hatte, wusste ich sofort, dass er es war. Großartig! Zwar
glaubte ich nicht, dass er meine Stimme erkennen konnte, aber es würde genügen,
wenn er einen Blick über die Schulter warf, und er würde mich erneut in meiner
Rolle als Pechvogel erleben. Zu meiner Erleichterung reichte er der Sekretärin
allerdings das Blatt Papier und ging hinaus, ohne sich zu uns umzudrehen.
Nur
äußerst widerwillig riss sich die Schulärztin von der spannenden Lektüre los
und wickelte elastische Binde um mein immer noch geschwollenes Gelenk. Endlich
entließ sie uns mit einer hoheitsvollen Handbewegung.
Als
wir wieder auf dem Flur standen, der jetzt von lärmenden Schülern bevölkert
war, schielte ich vorsichtig zu Sam hinüber. Dann fragte ich zögernd: „Geht‘s
dir ein bisschen besser?“
Er
brachte ein kurzes Lachen zustande. „Klaust du mir da nicht gerade den Text?“,
gab er zurück und wirkte dabei schon viel mehr wie der Junge, den ich am Vortag
in der Cafeteria kennen gelernt hatte.
„Schon,
aber du hast vorhin ziemlich fertig ausgesehen.“
„Ja
…“, unvermittelt blieb er stehen und schaute mich fest an. „Die Sache ist die –
wenn dir durch meine Schuld etwas Ernsthaftes passiert wäre, hätte ich das
vermutlich ewig bereut.“
Es
klang so aufrichtig, dass ich meinen Blick verlegen auf den Marmorfußboden
senkte. Zum Glück durchbrach Sam nach wenigen Sekunden unser Schweigen: „Kommst
du jetzt mit zum Essen?“, erkundigte er sich, wobei sich seine Stimme wieder
völlig normal anhörte. Ich atmete erleichtert auf,
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