Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
sagte:
„Abschließend
noch einmal zur Wiederholung: Die altgriechischen Bezeichnungen für die
Hautschichten sind Subcutis, Dermis und Epidermis. Und wie lauten die anderen
Namen? Lily?“
Ich
blickte erst auf, als Jinxy mir einen Stoß in die Rippen versetzte. Angestrengt
lauschte ich auf die Frage, die noch in meinem Kopf nachhallte, um
herauszufinden, was man eigentlich von mir wollte. Als die Stille im
Klassenzimmer schon kaum mehr auszuhalten war, begann ich zögernd:
„Ähm,
das wären dann – Unterhaut, Lederhaut und … also …“ Jinxy flüsterte etwas in
sich hinein. „Vorhaut“, wiederholte ich erleichtert.
Hinter
mir explodierte die Klasse in schallendes Gelächter. Gleichzeitig ertönte die
Schulglocke, und ich wartete gar nicht erst darauf, dass Professor Osorio uns
entließ, sondern raffte meine Bücher zusammen und suchte das Weite.
Noch
nie zuvor war ich so froh gewesen, dass Jinxy an Schönwettertagen immer mit dem
Fahrrad zur Schule kam – auf diese Weise blieb mir die Anstrengung erspart, sie
während der Heimfahrt im Bus zu ignorieren. In gebückter Haltung kauerte ich
auf meinem Platz und gab vor, zu lesen; in Wirklichkeit aber pochte das Blut
viel zu laut in meinen Ohren, als dass ich mich hätte konzentrieren können.
Während ich verbissen auf die Buchstaben starrte und in regelmäßigen Abständen
umblätterte, versuchte ich mir einzureden, dass ich schon viel peinlichere
Dinge erlebt hatte, doch das verbesserte meine Laune nicht wesentlich. Was war
nur neuerdings mit mir los? Natürlich war ich auch an meiner alten Schule vom
Pech verfolgt gewesen, aber zumindest hatte ich mich darauf verlassen können,
dass meine Leistungen im Unterricht diese Blamagen mehr oder weniger
wettmachten. Doch nun hatte ich gerade mal den zweiten Schultag hinter mich
gebracht und war bereits in vier Kursen unangenehm aufgefallen, wenn man meinen
Stunt in der heutigen Sportstunde mitzählte.
Zu
Hause angekommen ging ich sofort zum Kühlschrank, holte eine halbvolle
Milchflasche heraus und trank sie in einem Zug leer. Das bescherte mir zwar
vorübergehende Bauchschmerzen, kühlte dafür aber meinen Zorn ein wenig ab.
Zähneknirschend gestand ich mir ein, dass ich Jinxy nicht für alle Pannen der
letzten zwei Tage verantwortlich machen konnte, genaugenommen noch nicht einmal
für die letzte: Im Unterricht vor mich hin zu träumen und mir dann auch noch
von ihr die Antwort vorsagen zu lassen, war schließlich absolut untypisch für
mich. Bestimmt hatte meine Freundin gar nicht erwartet, dass ich ihren Scherz
einfach nachplappern würde, und wahrscheinlich würde sie den Nachmittag damit
verbringen, ihre berühmten „Tut-mir-leid“-Gummibärchen-Muffins für mich zu
backen. Trotzdem wollte ich sie nicht allzu schnell davonkommen lassen.
Ich
war gerade dabei, den Kühlschrank nach einem Snack zu durchstöbern, als wie
erwartet das Telefon klingelte. Wutschnaubend griff ich nach dem Hörer. „Jinxy,
du Stinktier!“, blaffte ich hinein. Am anderen Ende der Leitung blieb es einen
Moment lang still. Dann –
„Ich
fürchte, du verwechselst mich. Ich bin nicht Jinxy“, er räusperte sich, „das
Stinktier. Hier ist Rasmus.“
Ich
schloss die Augen. Als das Schweigen zu lange andauerte, fragte ich atemlos:
„Wer?“, und hätte mich gleich darauf am liebsten mit der Telefonschnur erwürgt. Wer? Die Bekanntschaft wie vieler Rasmuse hatte ich an der Galilei High
noch gleich gemacht?
„Der
von … gestern“, erklärte er, was zugegebenermaßen auch nicht sehr intelligent
klang, doch ich stellte dankbar fest, dass er offenbar zu taktvoll war, um die
genaueren Umstände unseres Kennenlernens zu erwähnen.
„Ach
ja. Woher hast du meine Nummer?“
„Aus
dem Telefonbuch.“
Was
hatte ich denn erwartet? Natürlich kannte er meinen Nachnamen, da Professor
Scott am Anfang der Englischstunde jeden Kursteilnehmer aufgerufen hatte, um
die Anwesenheit zu überprüfen. Das Telefonkabel hinter mir herschleppend ging
ich zu dem Spiegel, der im Flur an der Wand hing, und probierte einen möglichst
gelassenen Gesichtsausdruck. Beiläufig sagte ich zu meinem Spiegelbild:
„Verstehe. Also … was gibt’s?“
„Ich
hatte mich gefragt, ob du heute Abend Zeit hättest, etwas mit mir zu
unternehmen.“
„Was
denn?“ Der Gesichtsausdruck hielt. Nur meine Stimme rutschte eine halbe Oktave
hinauf.
„Wie
wär’s mit Kino? Wir könnten uns kurz vor halb sechs vor dem Movie Castle
treffen.“
„Ja,
okay.
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