Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
tieferes
Interesse in ihm zu wecken. Trotzdem beschlich ihn das unbestimmte Gefühl, dass
er sie im Hinterkopf behalten musste, und er hatte gelernt, sich auf seine
Ahnungen zu verlassen. Was auch immer es war, das ihn bei dem Gedanken an sie
andere, drängendere Fragen vergessen ließ: Es war nur der Anfang.
2.
Kapitel
Der
nächste Schultag begann wieder mit meinem Lieblingsfach Englisch. Beim Betreten
des Klassenzimmers war ich so darauf bedacht, starr geradeaus zu blicken, dass
ich beinahe über einen Rucksack gestolpert wäre, der zwischen den Bänken stand.
Während ich meinen Sturz abfing, drehte ich unvernünftigerweise den Kopf.
Rasmus
war schon da. Er saß regungslos auf seinem Platz, die Unterarme auf die
Tischkante gestützt und mit Kopfhörern über den Ohren; das Lärmen der
hereinströmenden Schüler erreichte ihn nicht.
Schnell
ließ ich mich neben Jinxy auf meinen Stuhl plumpsen und duckte mich. Ich hatte
zwar beschlossen, das Klopapier-Ereignis absolut ungerührt hinter mir zu
lassen, doch natürlich spielten dabei meine sich eilig verfärbenden Wangen
nicht mit. Während Professor Scott die Anwesenheit überprüfte, schielte ich
vorsichtig über die Schulter nach hinten. Rasmus hatte die Kopfhörer in den
Nacken geschoben und schraffierte gerade mit dem Bleistift irgendetwas auf
seinem Collegeblock. Als er aufgerufen wurde, hob er nur kurz die linke Hand,
ohne den Blick von der Zeichnung zu wenden.
Er
beachtete mich überhaupt nicht. Ich fragte mich, ob ich allmählich den Verstand
verlor, als sich ein leichtes Gefühl von Enttäuschung in mir breitmachte.
Die
nächsten drei Schulstunden vergingen rasch. In Latein verbesserte sich meine
Laune deutlich, da sich zeigte, dass mein Streberverhalten vom Vorabend
gefruchtet hatte: Mit meiner Übersetzungsleistung konnte ich Professor
Grabowski, wenn schon kein Lächeln, so zumindest ein wohlwollendes Nicken
entlocken.
Dieses
Hochgefühl verflüchtigte sich allerdings schlagartig, sobald wir uns auf den
Weg zum Nebengebäude machten, wo die Sportstunde stattfinden sollte. Kaum
hatten wir den Umkleideraum betreten, weckte die Duftmischung aus Hartplastik,
Hanfseilen und Schweiß Erinnerungen an kleinere und größere Katastrophen, die
ich an meiner alten Schule erlebt hatte. Es war nicht nur so, dass ich mich nicht
fit genug fühlte, wie ich Eric gegenüber behauptet hatte (obwohl meine
bedauerlich schlaksigen Arme und Beine tatsächlich nicht dafür gemacht zu sein
schienen, sich athletisch zu bewegen). In der Turnhalle war ich einfach so
etwas wie ein Fremdkörper, den irgendwelche höheren Mächte offenbar so schnell
wie möglich beseitigen wollten. Verstohlen rieb ich über die jüngste Narbe an
meinem rechten Knie, die ich einem Sturz vom Barren verdankte.
„Trödeln
wird dir jetzt auch nichts nützen“, riss Jinxy mich herzlos aus meinen Gedanken
und zog den Zippverschluss des gepunkteten Overalls hoch, den sie immer beim
Sport trug. Ich schlüpfte missmutig in Jogginghose und T-Shirt und folgte ihr
in die Turnhalle.
Schon
am Vortag, bei der Begrüßungsrede des Direktors, hatte mich die Größe des Saals
eingeschüchtert; doch nun, da die Bankreihen und das kleine Podium verschwunden
waren, wirkte der Raum geradezu gigantisch. Er bot Platz genug, dass vier
Sportkurse gleichzeitig darin abgehalten werden konnten: In unserer Nähe
wärmten sich gerade einige jüngere Schülerinnen mit Sprungseilen auf; in der
anderen Hälfte der Halle machte auf einer Seite eine Horde Jungen Liegestütze,
und auf der anderen Seite trainierte … die Basketballmannschaft.
War
ja klar.
Sofort
wurde ich von einer Woge der Dankbarkeit für die Ausmaße des Saals erfüllt. Wenn
ich mich nicht allzu halsbrecherisch benahm, würde mich Rasmus mit Sicherheit
nicht bemerken.
Zur
Einstimmung ließ uns die Trainerin fünfzehn Minuten lang joggen. Ich wusste
zwar, dass ich nicht sehr schnell war, aber ich hatte geglaubt, zumindest die
Grundlagen des Laufens seit meinem zweiten Lebensjahr zu beherrschen – Coach
Svensson belehrte mich eines Besseren. „Oberkörper leicht nach vorne neigen,
Wirbelsäule bleibt entspannt! Ober- und Unterarme im rechten Winkel zueinander
seitlich am Körper mitschwingen lassen! Und ein bisschen mehr Tempo, meine
Damen, ein gesunder Geist wohnt nur in einem gesunden Körper!“
„Der
gesunde Geist kommt einem spätestens dann abhanden, wenn man hundertmal im
Kreis gerannt ist“, keuchte Jinxy an meiner Seite, doch mir blieb
Weitere Kostenlose Bücher