Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
Aber … Rasmus?“ Er hatte aufgelegt. Augenblicklich verschwand meine
lässige Miene, und eine Irre starrte mir aus dem Spiegel entgegen. Mechanisch
wählten meine Finger Jinxys Nummer. Ich zuckte erschrocken zusammen, als sie
schon nach dem ersten Klingeln abhob und sofort lossprudelte:
„Lily,
ich wollte dich gerade anrufen! Die Sache in Bio tut mir echt leid, aber ich
hätte nie gedacht, dass du wirklich …“
„Das
ist jetzt nicht so wichtig!“, fiel ich ihr ins Wort. „ Rasmus hat mich gerade
um ein Date gebeten. “
Jinxy
quiekte kurz auf, und ich konnte hören, wie irgendetwas zu Boden polterte.
„Rasmus?“, wiederholte sie nach einigen Sekunden. „Rasmus mit dem gefährlichen
Blick? Rasmus, der Retter aller Klopapieropfer? Der Rasmus?“
„Mhm.
Er hat mich gefragt, ob ich heute Abend mit ihm ins Kino will, und ich hab
zugesagt.“
„Natürlich
hast du das“, gab Jinxy milde zurück. „Was denn sonst.“
„Aber
findest du das denn nicht merkwürdig? Wieso sollte er mit mir ausgehen wollen?
Unser erstes Zusammentreffen ist mir nicht unbedingt so vorgekommen wie der
Anfang einer großen Romanze.“
„Ich
wollte dich ja eigentlich nicht darauf hinweisen“, verkündete Jinxy feierlich,
„aber du siehst ziemlich gut aus, weißt du. Womöglich war das Klopapier an
deinem Schuh nicht das Einzige, was Eindruck bei ihm gemacht hat.“
„Meinst
du wirklich?“, fragte ich unbehaglich.
„Na
klar, du könntest nur vielleicht ein bisschen mehr Farbe vertragen. Ich leihe
dir gern was für heute Abend! Erst gestern hab ich mir was Neues zugelegt, so
ein neongelb gestreiftes –“
„Oh,
nein danke, das ist lieb von dir, aber wirklich nicht nötig.“
Ich
ließ noch einige Dating-Tipps über mich ergehen, aber bevor sich Jinxy allzu
sehr in diese Materie vertiefen konnte, würgte ich sie mit dem Hinweis darauf
ab, dass ich mich noch für den Abend zurechtmachen musste. Im Eiltempo
erledigte ich meine Hausaufgaben; anschließend duschte ich, föhnte mir die
Haare und kleidete mich sorgfältig an. Danach betrachtete ich mich zufrieden im
Spiegel. Mein Haar wurde von einem Band zurückgehalten, das farblich perfekt zu
meinem knielangen, königsblauen Rock passte. Unter meiner Lieblingsstrickweste
blitzte eine blütenweiße Bluse hervor, die ich extra gebügelt hatte. Lächelnd
nickte ich meinem Spiegelbild zu. Ich sah überraschend gut aus. Ich sah aus wie
ein … Schulmädchen. Mein Lächeln fiel in sich zusammen. Verdammt!
Vor
mich hin fluchend begann ich eine Schublade nach der anderen zu durchwühlen;
dabei konnte ich auf einmal ganz gut nachempfinden, was in meiner Mutter
vorging, wenn sie vor ihrem vollgestopften Kleiderschrank stand und uns
kreischend kundtat, dass sie wohl oder übel nackt ausgehen müsse. Nur dass ich
bei weitem nicht so viele Klamotten besaß wie sie: Bisher war ich davon
überzeugt gewesen, mit T-Shirt, Röhrenjeans und Wollpulli für nahezu alle
Gelegenheiten gewappnet zu sein. Ich war bereits kurz davor zu resignieren, als
meine Finger ganz hinten im Schrank auf eine Plastiktüte stießen. Darin befand
sich ein Kostüm, das Jinxy mir letztes Jahr zu Halloween aufgedrängt hatte –
nach einem Blick auf das giftgrüne Bustier erinnerte ich mich wieder daran,
weshalb ich schließlich nicht als „sexy Hexe“, sondern als Gespenst gegangen
war. Der kurze schwarze Rock erschien mir mit einem Mal jedoch ganz brauchbar,
und nach einigen weiteren Minuten des Stöberns fand ich bei meinen Strandsachen
ein türkisfarbenes Neckholder-Top, das gut dazu passte. Ich klaute meiner
Mutter noch eine knappe schwarze Jacke, entschied mich nach einigen
jämmerlichen Gehversuchen gegen ihre hochhackigen Stiefel und verließ endlich
das Haus mit dem Gefühl, mein Bestmögliches getan zu haben.
Als
ich sieben Minuten vor halb sechs beim Movie Castle ankam, war Rasmus schon da.
Er lehnte in der Nähe des Eingangs an der Wand und war in die Musik aus seinem
MP3-Player vertieft. In seinen Doc Martens, den schwarzen Jeans und der grauen
Jacke mit dem hochgestellten Kragen sah er zu erwachsen aus, um noch zur Schule
zu gehen, und ein paar vorbeiziehende Mädchen im Studentenalter drehten die
Köpfe in seine Richtung. Er schien das gar nicht zu bemerken, doch auf einmal
blickte er hoch und schob sofort die Kopfhörer in den Nacken, als er mich
entdeckte.
Wenn
ich etwas wirklich hasste, dann war das, aus größerer Entfernung auf einen
Menschen zuzugehen, der mir entgegensah. Aus
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