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Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Titel: Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
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Macbeth “, ordnete der Lehrer an, während
er die Pultreihen abschritt und linierte Papierbögen verteilte.
    Sorgfältig
schrieb ich Innerer Monolog – Écriture automatique und das Datum oben
auf mein Blatt. Dann starrte ich es an. Es war sehr groß, sehr weiß, sehr leer.
Einfach so draufloszuschreiben entsprach überhaupt nicht meiner üblichen
Vorgehensweise; für gewöhnlich machte ich mir ein paar Notizen, bevor ich einen
Text verfasste, und legte eine ungefähre Struktur fest. Allerdings bezweifelte
ich, dass das bei dieser Aufgabe erwünscht war.
    Außer
mir hatte offenbar niemand Schwierigkeiten damit, seinen Gedanken freien Lauf
zu lassen und dabei mitzuschreiben: Es war nur das eifrige Gekritzel
zahlreicher Stifte auf Papier zu hören. Und gleich der gewaltige Nieser, der
sich gerade mit einem Kribbeln in meiner Nase ankündigte … Ich hielt den Atem
an und versuchte mich abzulenken, indem ich zu Jinxys Blatt hinüberschielte,
das sich beängstigend schnell mit windschiefen Buchstaben füllte. Meine
Freundin schien die Bezeichnung „Dialog mit sich selbst“ allzu wörtlich zu
nehmen; mit Müh und Not entzifferte ich in der ersten Zeile: „Guten Morgen,
liebe Jinxy, wie geht es dir heute?“
    Nach
einer Weile wurde die Stille von Stühlerücken und Papierrascheln durchbrochen,
als die ersten Schüler ihre Arbeiten bei Professor Scott ablieferten. Auch
Rasmus hatte seinen inneren Monolog bereits beendet, und ich legte die Hand
über mein weitgehend leeres Blatt, während er an meinem Pult vorbeiging. Er
schien sich jedoch kein bisschen für meine intimen Gedankengänge zu
interessieren; auch als er zu seinem Platz zurückkehrte, warf er mir nicht
einmal einen flüchtigen Blick zu. Ich tat so, als müsste ich etwas aus meiner
Tasche holen, und spähte dabei zu Rasmus hinüber, um zu sehen, ob er
tatsächlich Macbeth zu lesen begann.
    Tat
er nicht. Er sah mir direkt in die Augen.
    Der
Stoß meines Ellbogens gegen die Tischkante riss vermutlich einige meiner
Mitschüler aus ihren stummen Selbstgesprächen, als ich mich ruckartig wieder
nach vorne drehte. Ich beugte mich tief über mein Arbeitsblatt und radierte
verbissen die Efeuranken aus, die ich bis jetzt gezeichnet hatte. Dann setzte
ich fest entschlossen den Stift erneut auf das Papier und versuchte die Tore
zur schöpferischen Kraft meines Unterbewusstseins zu öffnen. Dabei fragte ich
mich, weshalb meine Kleidungswahl heute ausgerechnet auf diesen hässlichen
geblümten Wollpullover gefallen war, an dessen Schulterrückseite auch noch mein
einjähriger Cousin seine erste Rote-Bete-Kostprobe für die Ewigkeit
festgehalten hatte. Verstohlen löste ich das Zopfgummi von meinem kurzen
Pferdeschwanz und legte den Kopf schief, sodass meine Haare auf eine Seite
fielen und hoffentlich den blassroten Fleck verbargen. Außerdem erweckte diese
Haltung vielleicht den Anschein, dass ich kritisch über das nachdachte, was der
Professor vorhin zum Besten gegeben hatte – was auch immer das gewesen sein
mochte. Und behauptete meine Mutter nicht immer, dass ich einen Schwanenhals
hatte, der geneigt besonders stark zur Geltung kam? War das überhaupt etwas
Gutes? Andererseits konnte man dasselbe bestimmt auch von Keira Knightley
sagen, und dann musste es etwas Gutes sein.
    Ich
zuckte zusammen, als sich Jinxy auf dem Rückweg zu ihrem Platz plötzlich zu mir
herunterbeugte und mir zuflüsterte: „Hast du Wasser im Ohr?“ Schnell richtete
ich mich wieder auf. „Mir hilft es dann immer, wenn ich mit schiefem Kopf auf
und ab hopse“, fuhr meine Freundin fort. „Kannst du in der Pause ja mal
versuchen!“
    „So“,
ließ sich Professor Scott vernehmen, „ich habe jetzt Ihre inneren Monologe
erhalten und bereits einige davon überflogen. In wenigen Minuten ist die Stunde
zu Ende, holen Sie sich dann bitte …“ Er brach ab und sah stirnrunzelnd zu mir
herüber. Erschrocken zog ich den Kopf ein. „Sie sind ja immer noch nicht
fertig!“, bemerkte der Lehrer vorwurfsvoll und reckte den Hals, um auf meinen
Zettel zu sehen. „Sie sollten bloß ein paar Sätze schreiben, keinen Roman!
Kommen Sie doch bitte nach vorne und lesen Sie uns vor, welches Meisterwerk Sie
in der langen Zeit zustande gebracht haben.“
    Als
würde ich an Schnüren hängen, stand ich von meinem Platz auf und ging
steifbeinig zur Tafel. Währenddessen staunte ich darüber, dass auf meinem
Arbeitsblatt tatsächlich etwas stand: Ich hatte fein säuberlich einen Satz
unter den anderen

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