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Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Titel: Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
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versuchte mich aus ihrem festen Griff zu winden. „Schau mal,
wir probieren es jetzt mit Freundschaft, weil es zwischen uns auf eine andere
Weise nicht klappen würde. Wir hatten schon ein Date, und das ist total in die
Hosen gegangen, du erinnerst dich?“
    „Wäre
fein, wenn man das wörtlich verstehen könnte“, murmelte Jinxy in sich hinein
und fuhr auf meinen vorwurfsvollen Blick hin mit erhobener Stimme fort:
„Inwiefern war euer kleines Stelldichein gestern denn was anderes als ein
Date?“
    „Ich
hab dir doch schon gesagt, das war kein Date, sondern –“
    „Nachhilfe,
ich weiß“, fiel mir Jinxy ins Wort. „Und mir scheint, du hast tatsächlich Hilfe
nötig.“
    „Danke.
Können wir jetzt in den Unterricht gehen?“
    Auf
einmal veränderte sich der Gesichtsausdruck meiner Freundin. „Okay“, sagte sie
nachdrücklich. „Das sollten wir tun.“
    Mir
war natürlich klar, was hinter ihrem lila geblümten Stirnband vor sich ging:
Ihr war gerade eingefallen, dass ich in Englisch auf Rasmus treffen würde.
Studie am lebenden Objekt.Aber hatte ich eine Wahl?
    Lässig
spazierte ich auf das Klassenzimmer zu und betrat es ohne jede bissige
Bemerkung, als Jinxy mir mit einer übertriebenen Geste den Vortritt ließ.
Rasmus hatte wieder seine Kopfhörer auf, und das war mir nur recht. Somit war
ich nicht gezwungen, mir irgendeine geistreiche Begrüßung auszudenken, sondern
es genügte, wenn ich ihm beiläufig zunickte. Ich streifte ihn im Vorbeigehen
mit einem Blick und hob dabei kurz das Kinn in seine Richtung, bevor ich mich
auf meinen Platz setzte. Sehr gelungen. Sehr freundschaftlich. Jinxys Meinung
darüber – und ganz gewiss hatte sie eine – konnte ich nicht mehr hören, weil
Professor Scott gleich darauf mit dem Unterricht begann. Nach dem üblichen
„Guten Morgen, Herrschaften“ und dem Aufrufen der Namen stürzte er sich sofort
in seinen Vortrag:
    „Wie
Sie bereits wissen – oder es nach der Klausur zumindest wissen sollten – ist Hamlet Shakespeares längstes Stück, und die Hauptperson spricht ungefähr die
Hälfte der Zeit.“
    „Ist
mir unangenehm aufgefallen“, brummte Jinxy neben mir.
    „Die
Zweifel und inneren Konflikte des Prinzen werden in seinen Monologen enthüllt,
er sinnt über die schmale Grenze zwischen Recht und Unrecht nach, grübelt, wie
er dem Auftrag seines Vaters gerecht werden kann, und natürlich erörtert er in
einem seiner berühmtesten Monologe die Frage: Sein oder Nicht-Sein?“
    „Nie
davon gehört“, ätzte Jinxy erneut und machte ein Schweineschnäuzchen, als ich
streng zu ihr hinübersah.
    „Die
Argumente in diesen Diskussionen werden also von ein und derselben Person
geliefert, weshalb man auch von einem ‚Dialog mit sich selbst‘ sprechen könnte
– vor allem, da es sich bei Hamlet um eine innerlich so zerrissene Figur
handelt. Natürlich sind die Monologe in Shakespeares Dramen in einer sehr
ausgefeilten rhetorischen Form geschrieben, was genaugenommen im Widerspruch zu
der psychischen Verfassung der sprechenden Person steht.“
    Weil
wir schon von psychischer Verfassung sprachen – ich war allmählich um meine
eigene ein wenig besorgt. Da Jinxy sich in ein Tic-Tac-Toe-Spiel gegen sich
selbst vertieft hatte, wäre es mir eigentlich möglich gewesen, meine
Aufmerksamkeit voll und ganz Professor Scott zu widmen: Dieser referierte
gerade inbrünstig über den inneren Monolog in der Erzählprosa und darüber, wie
man ab 1900 versucht hatte, mittels Umgangssprache und Halbsätzen die
Verworrenheit realistischer Gedankengänge nachzubilden. Allerdings fiel es mir
seltsam schwer, mich zu konzentrieren, weil ich das irritierende Gefühl hatte,
als würden tausende Ameisen meine Wirbelsäule entlanglaufen. Ich fragte mich,
ob ich mich nach Rasmus umdrehen und nachsehen sollte, ob er mich beobachtete …
da erhob Professor Scott die Stimme und riss mich aus meinen Grübeleien:
    „Deshalb“
(weshalb?) „habe ich mir überlegt, dass es eine gute Übung für Sie wäre, selbst
einen kleinen inneren Monolog zu verfassen. Bedienen Sie sich dabei der Methode
der Écriture automatique , schreiben Sie also einfach, was Ihnen gerade
durch den Kopf schießt, und verwenden Sie nicht allzu viele Gedanken auf
Interpunktion, Rechtschreibung oder Grammatik.“
    „Ich
werde nie wieder einen Gedanken darauf verwenden“, gelobte Jinxy feierlich.
    „Sobald
Sie fertig sind, geben Sie mir Ihr Arbeitsblatt ab und widmen Sie sich für den
Rest der Stunde der Lektüre von

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