Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
kann ich dir
meinen inneren Monolog leider nicht geben. Ich fühle mich so richtig nutzlos
als Nachhilfelehrer.“
„Ich
bin sicher, wenn du nur wolltest, könntest du mir noch so einiges beibringen“,
erwiderte ich schnippisch. Neben mir prustete Jinxy in ihre Puddingschüssel,
und ich begriff mal wieder viel zu spät. Rasmus verzog zwar keine Miene, aber
ich senkte trotzdem schnell den Kopf so tief über mein Essen, dass ich beinahe
meine Nase darin eintauchte. „Oder … ich probiere es einfach noch mal alleine.“
„Hier“,
sagte Rasmus gönnerhaft und schob seine Dessertschale zu mir herüber, während
er aufstand. „Nimm meinen Pudding. Du brauchst ihn viel dringender als ich.“
Er
schlenderte auf den Ausgang der Cafeteria zu und sah dabei so verflixt gut aus,
dass ich vor Wut meine Serviette in der Faust zerknüllte. Jinxy hatte das Kinn
in die Hand gestützt und betrachtete mich mit einem Gesichtsausdruck, als würde
ihr gerade eine äußerst interessante Vorstellung geboten. „Lily“, begann sie
nun ernsthaft, „wenn das jetzt dein neues Verhalten gegenüber guten Freunden
ist … muss ich mir dann nicht auch Sorgen machen?“
Die
zusammengeknüllte Serviette schwirrte knapp an ihrem Ohr vorbei. „Freundschaft
mit Jungs ist ziemliches Neuland für mich“, gab ich verbissen zurück. „Aber ich
bin schon dabei, mich daran zu gewöhnen.“
Nachdem
er das Schulgebäude und somit all die schnatternden und herumalbernden
Jugendlichen hinter sich gelassen hatte, fand er endlich die nötige Ruhe, um
seinen düsteren Gedanken nachzuhängen. Die Sache mit der „Freundschaft“ war
mehr als lächerlich, doch Lilys Verhalten hatte deutlich gezeigt, dass sie
selbst daran glaubte oder es zumindest versuchte. Er hätte diese ganze Farce
vielleicht sogar amüsant gefunden, wenn dadurch nicht eine Reihe höchst
unangenehmer Möglichkeiten in sein Blickfeld gerückt worden wären. Noch war
nichts geschehen, doch er machte sich keinerlei Illusionen über Lilys
Sicherheit, hatte es sich doch bereits gezeigt, dass sie nicht einmal in der
Schule vor Unfällen gefeit war. So harmlos das alles bisher auch scheinen
mochte – lächerliche Verrenkungen eines unsicheren Teenie-Mädchens – er durfte
es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Etwas musste geschehen, und zum Glück
war er bereit.
Ich
kam mit ziemlich gemischten Gefühlen zu Hause an: Sam hatte mich während des
Bio-Unterrichts krampfhaft ignoriert – andererseits konnte ich mich zu meiner
abgrundtiefen Schande nicht genug auf dieses leidige Thema konzentrieren, um
den Klang von Rasmus‘ Stimme aus meinem Kopf zu vertreiben. Zur Strafe für
diese Charakterschwäche stürzte ich mich gleich auf meine
Mathematik-Hausaufgaben, kaum dass ich meinen Schreibtisch erreicht hatte. Die
zermürbende Beschäftigung mit Taschenrechner und Formelheft brachte mich
zumindest auf andere Gedanken, aber sobald ich mich der nächsten Aufgabe
zuwandte, war dieser Effekt sofort dahin: Die Klausurverbesserung – jetzt aber
wirklich. Als auf höchst irritierende Weise eine Puddingschüssel vor meinem inneren
Auge zu schweben begann, versuchte ich mich abzulenken, indem ich ein wenig in
meiner Hamlet -Ausgabe blätterte. Doch auch das brachte nicht den
gewünschten Erfolg: Lady, shall I lie in your lap? … To
live in the rank sweat of an enseamed bed, stew'd in corruption? Das
war ja obszön! Ich wunderte mich darüber, dass eine solche Lektüre im
Englischunterricht durchgenommen wurde, und noch mehr erstaunte mich, dass mir
diese gewissen Stellen im Stück bisher nie aufgefallen waren. So schnell – aber
natürlich auch so gewissenhaft – wie möglich überarbeitete ich meinen Essay und
ging dann nach unten, wo das Rumpeln von Koffern den nahenden Aufbruch meiner
Eltern ankündigte. Sie wollten einen Nachtflug nach Schottland nehmen und waren
wie üblich viel zu spät dran.
„Also,
Lily, wir sausen dann mal los“, verkündete mein Vater, der mitten in dem
Experiment steckte, sich einen Vollbart wachsen zu lassen, und einen
entsprechend abenteuerlichen Eindruck machte.
Ich
half ihnen dabei, ihre Koffer die Stufen vor unserer Haustür hinunterzuhieven,
und zog den Kopf zwischen die Schultern, als mich eine eisige Windböe traf.
Beunruhigt blickte ich zum Himmel hinauf, über den der Sturm dunkelgraue
Wolkenfetzen trieb, und fragte:
„Wird
eure Maschine denn überhaupt starten bei so einem Wetter?“
„Ach,
mein Mädchen“, sagte meine Mutter mitleidig,
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