Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
sein Gesicht hatte wieder einen
schalkhaften Ausdruck angenommen. „Als wir vorhin auf dem Teppich saßen, hätte
ich fast gefragt: Fräulein, soll ich in Eurem Schoße liegen? Aber ich
konnte mich gerade noch beherrschen.“
„Deine
Lehrmethoden sind mehr als fragwürdig.“ Im Stillen überlegte ich, ob ich wohl
jemals wieder den Hamlet würde lesen können, ohne zu erröten.
„Soll
ich dir etwas verraten?“, bot er an und beugte sich noch ein bisschen weiter zu
mir herunter.
„Lieber
nicht.“
„Es
geht aber um das Stück. Warum zögert Hamlet so lange, sich an seinem
verbrecherischen Onkel zu rächen? Hier sind ein paar meiner Lösungsvorschläge.“
Ich konnte nun seinen Atem an meiner Wange spüren und wollte zurückweichen.
Mein Körper wollte das aber offenbar nicht.
„Er
ist zu sehr von sich selbst eingenommen“, begann Rasmus aufzuzählen. Wie du, fügte ich in Gedanken hinzu.
„Er
ist möglicherweise verrückt.“ Aber hallo.
„Er
plant den perfekten Mord.“ Endlich gelang es mir, mich von der hypnotischen
Kraft seines Blicks zu befreien. Fröstelnd trat ich einen Schritt zurück, im
selben Augenblick, als er sich vom Türrahmen abstieß und auch schon die drei
Stufen zu unserem Vorgarten hinuntergesprungen war. „Wenn er seinen Onkel
bereits im ersten Akt abgemurkst hätte, wäre das Stück übrigens reichlich kurz
geraten“, rief er über die Schulter zurück, „denk mal drüber nach.“ Damit
verschwand er in der Dunkelheit.
4.
Kapitel
„Oh
Mann“, stöhnte Jinxy auf, während sie kurz vor Beginn der ersten Stunde ihr
Schließfach durchwühlte. „Ich habe den starken Verdacht, dass jemand Nacht für
Nacht meine Sachen durcheinander bringt. Womöglich hat er auch mein
Englischbuch als Geisel genommen. Außerdem hab ich meinen Essay noch nicht
verbessert … wir haben bis Freitag Zeit dafür, oder? Ich glaube, ich muss
meinen einfach ganz neu schreiben. Wie lange hast du denn für die Korrektur
gebraucht?“
„Ich
hab es auch noch nicht gemacht“, erwiderte ich unschuldig, doch Jinxy drehte
sich sofort zu mir um und sah mich alarmiert an.
„ Du schiebst Hausaufgaben vor dir her?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Wieso das
denn?“
„Na
ja, ich wollte es gestern zusammen mit Rasmus erledigen, aber wir sind dann
doch nicht dazu gekommen.“
„Einen
Moment“, Jinxy stellte ihren Rucksack auf den Boden und kam zu mir herüber, um
mir ihr Ohr an den Mund zu halten. „Bitte sag das noch einmal, ich hab da
gerade so ein komisches Klingeln gehört.“
„Rasmus
war gestern bei mir zu Hause“, erklärte ich widerwillig. „Er wollte mir
Nachhilfe geben.“
„Ach,
er wollte dir Nachhilfe geben !“ Die Gänsefüßchen, die Jinxy zeigte,
waren gewaltig.
„Ja,
und dann haben wir Pizza gegessen.“
„Ihr
habt also Pizza gegessen !“
„Würdest
du bitte damit aufhören?“, fragte ich gereizt. „Wir sind jetzt eben Freunde!“
„Ihr
seid Freunde “, wiederholte Jinxy, und es hätte sich nicht anders
angehört, wenn sie stattdessen „ihr seid Regenwürmer“ gesagt hätte.
„Allerdings“,
gab ich möglichst würdevoll zurück, doch es klang auch ein wenig trotzig. Ich
versuchte gar nicht erst, leise zu sprechen, obwohl ich wusste, dass mich Sam
von seinem Schließfach aus hören konnte – vielleicht würde das ja sogar dazu
beitragen, dass sich die Situation zwischen uns beiden ein wenig entspannte.
Jinxy starrte mich noch einige Sekunden lang an, dann schüttelte sie sich, als
wollte sie einen bizarren Traum loswerden. „Okay, pass mal auf“, begann sie
eindringlich und packte mich am Arm, während sie den Zeigefinger der anderen
Hand suchend über unsere Mitschüler wandern ließ. „Der da drüben“, sie deutete
auf einen dicklichen Jungen, „ der könnte ein Freund sein. Oder der dort
mit den roten Haaren und der Brille. Oder meinetwegen – oh, vielleicht auch
Eric“, sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, als er sich verwirrt zu uns
umdrehte, und fuhr dann leider in derselben Lautstärke fort: „Der ist zwar
recht sportlich, allerdings erinnert er mich mit diesem Gesicht ein bisschen an
ein Frettchen. Aber “, jetzt packte sie mich an den Schultern und sah mir
fest in die Augen, „Johnny Depp wäre kein Freund. Eigentlich ist es auch bei
Sam schade drum, und auf gar keinen Fall eignet sich Mr Schlafzimmerblick dazu.
Alles klar?“
„Immerhin
könnte er nicht mein Vater sein, im Gegensatz zu Johnny Depp“, meinte ich
ausweichend und
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