Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
eine
Einladung für Einbrecher – auch wenn das bedeutete, dass sie vorher an der
Hauswand hochklettern mussten. Aber hatten solche Leute nicht ihre Tricks?
Ich
durchforstete mein Gedächtnis, ob mir meine Eltern oder meine Lehrer jemals
irgendwelche Verhaltensregeln für so eine Situation beigebracht hatten, doch
ich konnte mich an nichts Brauchbares erinnern. Wahrscheinlich war es ratsam,
sich versteckt zu halten und die Polizei zu rufen … aber würde der Typ auf der
Suche nach Schmuck nicht auf jeden Fall hierher kommen? Ich war ziemlich
sicher, dass er nicht lange brauchen würde, um mich hinter dem Duschvorhang zu
entdecken. Vielleicht würde er dann vor Schreck auf mich losgehen, und es gab
hier keinerlei Fluchtmöglichkeit. Natürlich hatte ich auch mein Handy nicht bei
mir – das lag friedlich im Wohnzimmer auf der Fernsehcouch und wartete darauf,
dass ich an der Küche vorbei- und die Treppe hinunterschlich, was ich aber ganz
gewiss nicht tun würde. Bevor ich den Einbrecher so auf mich aufmerksam machte
und er plötzlich hinter mir auftauchte, war es wahrscheinlich doch besser, ihn
irgendwie zu überrumpeln und in die Flucht zu schlagen.
Zu
meiner Überraschung ließ mich dieser Gedanke nicht in Panik geraten; im
Gegenteil, abgesehen von einem lästigen Rauschen in meinen Ohren fühlte ich
mich erstaunlich gefasst. Während ich hörte, wie etwas – womöglich ein Paar
Einbrecherfüße – auf dem Küchenboden aufschlug, begann ich mir fast wie eine
Figur aus einem dieser Computerspiele vorzukommen, mit denen Jinxy sich ganz
gern beschäftigte. Ich machte einen tiefen Atemzug und sah mich dann im
Badezimmer um. Mein Blick schweifte über Nagelzwicker, Nassrasierer und
Klobürste und blieb schließlich an dem Föhn hängen, den mein Vater meiner
Mutter zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Es war ein riesiges Teil
mit verschiedensten Aufsätzen und Funktionen, die ich gar nicht kannte. Ich
wickelte das Kabel um meine Hand und hob den Föhn drohend in die Höhe – es sah
vermutlich so aus, als wollte ich meinem Gegner warme Luft in die Augen pusten,
aber vielleicht würde mir die Verblüffung des Einbrechers genügend Zeit
verschaffen, um ihm meine improvisierte Waffe gegen den Kopf zu schmettern. Ich
unterdrückte die bange Frage, ob Plastik wohl härter war als Schädelknochen,
und schlich auf Zehenspitzen auf den Flur hinaus.
Diesmal
erschien mir das Knarren der Holzdielen mindestens doppelt so laut wie zuvor.
Ich hoffte, dass sich meine Schritte einfach wie die zahlreichen nächtlichen
Geräusche des Hauses anhörten, auf die ich immer lauschte, wenn ich im Bett
lag; außerdem machte der Einbrecher in der Küche wohl gerade selbst zu viel
Krach, um etwas zu bemerken. Ich wusste, dass mein Gehör durch die Finsternis
und meine Anspannung geschärft war, trotzdem kam es mir unachtsam vor, die
Schubladen in einem fremden Haus so lautstark zu durchwühlen. Was auch immer
der Typ suchte – es musste ihm bald klar werden, dass es nicht in der Küche zu
finden war. Als ich daran dachte, dass er jeden Moment auf den Flur treten und
mir direkt gegenüberstehen würde, brach mir kalter Schweiß aus, und der Föhn in
meiner Hand geriet ins Rutschen. Behutsam zog ich meinen Arm aus dem
Kabelknäuel und wischte mir die Finger an meiner Schlafanzughose ab. Dann
machte ich einen beherzten Schritt in Richtung Küchentür – und verhedderte mich
in dem Kabel. Nachdem ich bisher so bemerkenswert ruhig geblieben war, stieß
ich nun, da ich mit den Armen rudernd um mein Gleichgewicht kämpfte, einen
kurzen Schrei aus und biss mir gleich darauf entsetzt auf die Unterlippe. Aus
der Küche erklangen hastige Schritte. Meine Beine wurden von einem
unkontrollierbaren Zittern erfasst, das mir eine Flucht unmöglich machte; ich
kniff die Augen zu und wartete darauf, jeden Moment von Männerfäusten getroffen
zu werden. Das Rauschen in meinen Ohren schwoll zu einem Tosen an, sodass ich
kaum hören konnte, wie der Fensterladen erneut aufgestoßen wurde. Als er gegen
die Hauswand schlug, ertönte ein Krachen, gefolgt von einem dumpfen Aufprall.
Dann nichts mehr.
Wie
versteinert blieb ich im Flur stehen und konzentrierte mich nur darauf,
gleichmäßig ein- und auszuatmen, bis mich das nervige Geräusch meiner
klappernden Zähne in die Wirklichkeit zurückholte. Ich spannte meinen Kiefer an
und lauschte einige Herzschläge lang in die Stille hinein. Erst als ich sicher
sein konnte, dass kein Laut mehr aus der Küche zu
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