Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
hören war, trat ich
vorsichtig durch die Türe. Während ich mich geduckt dem offenen Fenster über der
Spüle näherte, fühlte ich unter meinen nackten Füßen eisige Hagelkörner, die
der Wind hereingeweht hatte. Ich verbarg mich halb hinter dem
regendurchtränkten Vorhang und warf dann einen schnellen Blick in den Garten
hinunter. Es war niemand zu sehen.
Als
ich mich umdrehte, um den Raum zu inspizieren, stellte ich fest, dass unsere
Küche beinahe unverändert aussah. Nur der Messerblock war umgestürzt, und das
große Steakmesser lag auf dem Boden. Ich bückte mich danach, doch meine
Aufmerksamkeit wurde gleich darauf von einem Gegenstand angezogen, der nur
einen Schritt entfernt auf den kalten Fliesen lag. Das Mondlicht, das zwischen
den Unwetterwolken hindurchsickerte, fiel direkt auf eine flache
Metallplakette, sodass sich diese leuchtend vom dunklen Leder abhob.
Es
war Rasmus‘ Armband.
5.
Kapitel
„Du
wolltest ihn mit einem Föhn erschlagen ?“, wiederholte Jinxy, und ihre
Stimme klang unnatürlich schrill. „Hast du vielleicht kürzlich einen richtig
schlechten Horrorfilm gesehen – Brigitte, die mordende Friseuse oder
so?“
„Ja,
schon gut“, sagte ich ungeduldig und hob das Kinn, damit mir keine Tränen aus
den Augen kullern konnten. Nachdem ich die ganze Nacht lang im hell
erleuchteten Wohnzimmer gesessen und verzweifelt versucht hatte, meine Eltern
zu erreichen, war ich immer noch ein seelisches Wrack. „Ich war wohl irgendwie
high vom Adrenalin. Aber darum geht es jetzt auch gar nicht.“
„Ach
nein? Meine beste Freundin wäre beinahe mit erhobenem Haartrockner in den Tod
gelaufen, und das war noch nicht der Knackpunkt der Geschichte?“ Vor Aufregung
zwirbelte Jinxy so heftig an einem ihrer Zöpfchen, dass es bereits wie eine
Rastalocke von ihrem Kopf abstand. Meine Erzählung hatte sie wirklich
mitgenommen, und es brauchte schon einiges, um meine Freundin derart zu erschüttern.
„Wenigstens ist er abgehauen, bevor du ihn mit deiner Selbstüberschätzung
provozieren konntest“, fuhr sie fort und verzog das Gesicht, als sie den
Zeigefinger aus ihren verknoteten Haaren zerrte. „Wie es scheint, hat dir deine
Tollpatschigkeit diesmal gute Dienste geleistet.“
Ich
lehnte mich schweigend zurück und blickte aus dem Fenster, während sich der Bus
durch die dichten Regenschleier kämpfte. Was mich an der ganzen Sache am
meisten erschreckt und mich schließlich auch davon abgehalten hatte, die
Polizei zu rufen, hatte ich bis jetzt vor Jinxy geheim gehalten – und in diesem
Moment wurde mir klar, dass ich ihr überhaupt niemals davon erzählen würde. Ich
benahm mich wie ein kleines Kind, das die Augen in der Hoffnung schloss, dann
auch von seinen Widersachern nicht gesehen werden zu können: Wenn ich es nicht
aussprach, konnte es auch nicht wahr sein … dass Rasmus bei mir eingebrochen
war.
Wieder
und wieder hatte ich die Sache in meinem Kopf durchgespielt und dabei vergeblich
versucht, sie zu verharmlosen: Vielleicht gehörte das Lederband, das in meiner
Jackentasche zu glühen schien, gar nicht Rasmus – vielleicht sah es seinem bloß
ziemlich ähnlich? Und selbst wenn er es gewesen war, der dieses Band in der
letzten Nacht verloren hatte … womöglich sollte der Einbruch nur so etwas wie
ein Scherz sein? Ein Streich zwischen neuen Freunden, bei dem er ein wenig
übers Ziel hinausgeschossen war … obwohl ich mir eigentlich kein Szenario
ausmalen konnte, in dem nächtlicher Hausfriedensbruch als lustig durchging.
Ich
stieg hinter Jinxy aus dem Bus und bekam kaum etwas von dem mit, was sie sagte;
mit schnell klopfendem Herzen ließ ich meinen Blick über den Parkplatz vor der
Schule schweifen, bis ich den verbeulten Wagen entdeckt hatte. Dass von seinem
dunkel gekleideten Besitzer nichts zu sehen war, bedeutete nur einen schwachen
Trost: So absurd mir dieser Gedanke auch vorkommen mochte, aber in wenigen
Minuten würde ich zusammen mit einem Einbrecher im Englischunterricht sitzen. Je
näher wir dem Klassenraum kamen, umso schwerer fühlten sich meine Beine an.
Schließlich blieb ich stehen und lehnte mich gegen die Wand. „Ich glaube, ich
kann nicht in Englisch gehen“, sagte ich schwach und hoffte, dass ich mich wie
jemand anhörte, der gerade von einer schweren Krankheit befallen worden war.
„Mir ist irgendwie schlecht.“
Jinxy
musterte mich prüfend. „Stimmt, du siehst wirklich ziemlich grün und schwitzig
aus“, bemerkte sie taktvoll. „Nach der ganzen
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