Verbannte der Ewigkeit
aufgegriffen. Einige waren nur verhört und dann wieder freigelassen worden, andere waren noch verschwunden. Niemand hatte eine Ahnung, wo die Verhafteten geblieben waren. Valkenburg von der Greenwich-Gruppe allerdings wollte aus einer ungenannten Quelle erfahren haben, daß die Gefangenen auf vier Lager im Süden und Südwesten der USA verteilt worden waren. Niemand hatte etwas von Janet gehört; allgemein machte sich Unruhe in den Gruppen breit.
Barrett verbrachte die Nacht auf einer Couch in Pleyels Büro. Am Morgen ging er zurück in seine Wohnung und hoffte, daß Janet inzwischen eingetroffen war. Vor seinem geistigen Auge sah er immer wieder, wie sie während eines Verhörs furchtbaren Qualen ausgesetzt war. Er wußte, wie man Frauen verhörte – man nutzte meist schamlos ihr Geschlecht aus. Er wußte, daß praktisch jede Frau, die man nackt ausgezogen hatte, vor sechs oder sieben Männern schon nach kurzer Zeit kaum noch den Mut aufbrachte, etwas zu verheimlichen. Janet war zäh und nicht zimperlich, aber wie viele von den subtilen und brutalen Qualen würde sie ertragen können? Heutzutage zog man niemandem mehr die Fingernägel heraus oder legte ihm Daumenschrauben an, sondern man tötete langsam aber sicher seinen Geist, bis jeder Widerstand zusammenbrach.
Janet konnte allerdings den Behörden kaum mehr erzählen, als sie ohnehin schon wußten. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen waren die Untergrundgruppen natürlich nicht geheim geblieben, und die Polizei kannte praktisch alle Namen und Adressen. Die neuerlichen Verhaftungen sollten wohl nur die Moral der Gruppen untergraben, ihnen zeigen, wo die Grenzen lagen und daß man nicht mit sich spielen ließ. Barrett war sicher, daß irgendein Computer der Regierung für heute soundsoviel Verhaftungen willkürlich angesetzt hatte, und daß es sich um eine Routinemaßnahme handelte. Leider hatte Janet diesmal mit auf der Liste gestanden.
Sie war auch am nächsten Tage noch nicht da. Pleyel kam aus Baltimore zurück, und er sah abgespannt und müde aus. Er hatte dort natürlich versucht, ein paar Informationen zu bekommen, und über Janet hatte er erfahren, daß sie am ersten Tag in Louisville, am zweiten in Bismarck interniert worden war. Von da an hatte man jede Spur von ihr verloren. Auch das gehörte zur Taktik der Behörden, die Gruppe zu verunsichern. Niemand wußte, wo sie jetzt war.
Das Leben ging irgendwie weiter. In Detroit wurde ein lange geplanter Protestmarsch durchgeführt, bei dem die Polizei auffällig tolerant zusah, allerdings bereit war, jederzeit einzugreifen, wenn es zu Ausschreitungen kommen sollte. In Los Angeles, Evansville, Atlanta und Boise wurden Flugblätter verteilt. Barrett bezog ein anderes Appartement – Janet war noch immer nicht aufgetaucht. Es schien, als seien die Wellen über ihr zusammengeschlagen und hätten sie verschluckt.
Eine Zeitlang hoffte er immer noch, daß sie freigelassen würde, oder daß man wenigstens herausbekommen würde, wo sie sich befand, aber sie war wie vom Erdboden verschwunden. Niemand wußte, ob sie bereits tot oder nur völlig isoliert versteckt wurde. Das Resultat blieb gleich: Sie war verschwunden.
Barrett sah sie nie wieder, und nach einiger Zeit verging selbst der Schmerz über ihren Verlust – zu seiner eigenen Überraschung. Das Leben ging weiter, Arbeit gab es genug, wenn auch das Ziel dieser Arbeit sich immer weiter entfernte.
9.
Zwei Tage vergingen, bevor Barrett Gelegenheit bekam, Lew Hahn beiseite zu nehmen und ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Die Expedition zum Inneren See war unterwegs, und in gewisser Hinsicht bedauerte Barrett das, denn er hätte für ein solches Gespräch gern Charley Norton dabeigehabt. Norton war der begabteste Theoretiker im Lager, ein Mann, der dem abwegigsten Thema noch ein wenig Dialektik abgewann. Wenn jemand etwas über Hahns revolutionäre Tätigkeit herausfinden konnte, dann Norton. Aber Norton war nicht da, und Barrett mußte allein mit Hahn fertig werden. Sein Marxismus war inzwischen etwas eingerostet, und in den leninistischen, stalinistischen, trotzkistischen, chruschtschowitischen, maoistischen, berenskowitischen und mgbubwitischen Perversionen des Marxismus kannte er sich nicht so aus. Er wußte allerdings, welche Fragen er zu stellen hatte – dazu hatte er eine zu lange Zeit an der ideologischen Front gekämpft, obwohl das auch schon lange her war.
Es war ein regnerischer Abend, an dem Hahn sicherlich keine Lust zu Ausflügen
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