Verblendung
meinem Verhältnis erzählt. Ihre Existenz kann nicht wirklich eine Überraschung für dich sein.«
»Das stimmt. Aber solange sie in Stockholm war, konnte ich sie ignorieren.«
Cecilia zog ihre Jacke an.
»Die Situation ist ganz schön komisch«, lächelte sie. »Komm heute Abend zu mir zum Abendessen rüber. Und bring Erika mit. Ich glaube, ich werde sie mögen.«
Erika Berger hatte die Frage des Nachtquartiers schon geklärt. Wenn sie früher in Hedeby gewesen war, um sich mit Henrik Vanger zu treffen, hatte sie in einem seiner Gästezimmer geschlafen, und jetzt bat sie ihn rundheraus, ob sie noch einmal dort übernachten könnte. Henrik Vanger konnte seine Begeisterung kaum verhehlen und versicherte ihr, dass sie ihm mehr als willkommen sei.
Als diese Formalitäten erledigt waren, gingen Mikael und Erika spazieren, überquerten die Brücke und setzten sich auf die Terrasse von Susannes Café, kurz bevor es zumachte.
»Ich bin so richtig mies gelaunt«, sagte Erika. »Ich fahre hier hoch, um dich wieder in der Freiheit willkommen zu heißen, und finde dich im Bett mit der Femme fatale dieser Stadt.«
»Tut mir leid.«
»Also, wie lange hast du schon mit Miss Big Tits …« Erika wackelte mit dem Zeigefinger.
»Ungefähr seit Henrik Teilhaber geworden ist.«
»Aha.«
»Was aha?«
»Reine Neugier.«
»Cecilia ist eine gute Frau. Ich mag sie gern.«
»Ich kritisiere dich doch gar nicht. Ich bin bloß mies gelaunt. Die Süßigkeiten vor der Nase, und dann werde ich auf Diät gesetzt. Wie war’s im Gefängnis?«
»Wie ein anständiger Arbeitsurlaub. Wie läuft’s mit der Zeitschrift?«
»Besser. Wir haben noch nicht wieder alles im Griff und sind immer noch in den roten Zahlen, aber zum ersten Mal seit einem Jahr ist das Anzeigenvolumen gestiegen. Wir liegen immer noch weit unter dem, was wir vor einem Jahr hatten, aber es geht auf jeden Fall wieder bergauf. Das ist Henriks Verdienst. Aber weißt du, was richtig seltsam ist? Die Zahl der Abonnenten steigt ebenfalls.«
»Die geht doch immer rauf und runter.«
»Aber wir haben in den letzten drei Monaten 3000 Abonnenten hinzugewonnen. Die Steigerung war ganz gleichmäßig, 250 pro Woche. Zuerst dachte ich, das ist nur ein Zufall, aber es kommen immer neue dazu. Das ist die größte Auflagensteigerung, die wir jemals gehabt haben. Das bedeutet mehr als die Einkünfte aus den Anzeigen. Gleichzeitig springen uns kaum alte Abonnenten ab.«
»Was meinst du, woran das liegt?«, fragte Mikael.
»Ich weiß nicht. Keiner von uns wird schlau daraus. Wir haben keine Anzeigenkampagne lanciert; Christer hat eine Woche lang stichprobenweise untersucht, was für Abonnenten jetzt neu bei uns auftauchen. 70 Prozent von ihnen sind Frauen. Normalerweise abonnieren uns zu 70 Prozent Männer. Alles in allem Vorortbewohner mit mittlerem Einkommen in qualifizierten Jobs: Lehrer, Angestellte mit bescheidener Leitungsfunktion, Beamte.«
»Die Revolte der Mittelklasse gegen das Großkapital?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn das so weitergeht, dann wird sich der Abonnentenstamm ganz schön verändern. Wir hatten vor zwei Wochen eine Redaktionskonferenz und haben beschlossen, unseren Themenkreis zu erweitern. Ich will mehr Artikel über Fachfragen, die mit der Angestelltengewerkschaft zusammenhängen, und andere Artikel in der Richtung, aber auch mehr kritische Reportagen über Frauenfragen zum Beispiel.«
»Sei nur vorsichtig, dass du nicht zu viel auf einmal veränderst«, meinte Mikael. »Den neuen Abonnenten scheint die bisherige Linie doch zu gefallen.«
Cecilia hatte auch Henrik zum Abendessen eingeladen, vielleicht, um das Risiko unangenehmer Gesprächsthemen zu mindern. Sie hatte Wildragout gekocht, dazu servierte sie Rotwein. Erika und Henrik diskutierten viel über Millenniums Entwicklung und die neuen Abonnenten, aber dann verlagerte sich das Gespräch auf angenehmere Themen. Erika wandte sich plötzlich an Mikael und fragte ihn, wie seine Arbeit für Henrik voranginge.
»Ich rechne damit, dass der Entwurf für die Familienchronik nächsten Monat steht, dann kann Henrik ihn sich anschauen.«
»Eine Chronik im Geiste der Addams Family«, lächelte Cecilia.
»Sie hat gewisse historische Aspekte«, gab Mikael zu.
Cecilia warf Henrik Vanger einen verstohlenen Blick zu.
»Henrik interessiert sich eigentlich gar nicht für die Familienchronik, Mikael. Er will, dass du das Rätsel von Harriets Verschwinden löst.«
Mikael sagte nichts. Er hatte mit
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