Verborgen im Niemandsland
und dein feiner Mann!«, zischte er. »Aber glaub ja nicht, dass ich dir deine scheinbare Großherzigkeit und Mildtätigkeit abnehme, Abby Chandler. Den anderen kannst du vielleicht Sand in die Augen streuen, aber ich durchschaue dich!«
Abby funkelte ihn an, beherrschte jedoch ihren aufsteigenden Zorn. »Ich weiß nicht, was mit Ihnen nicht stimmt, Mister Blake, aber damit müssen Sie allein fertig werden. Und jetzt gehen Sie mir bitte sofort aus dem Weg!«, forderte sie ihn mit eisiger Förmlichkeit auf.
»Durchtriebenes Ding!«, fauchte Henry Blake wutschnaubend, trat jedoch zur Seite.
»Ich wünschte, auch ich wäre tot... wie meine Eltern und meine Brüder«, sagte Emily später, als sie neben Abby im Wagen lag. Andrew hatte darauf bestanden, dass sie die Nacht nicht allein verbrachte, sondern bei Abby schlief. »Dann hätten Sie sich nicht diese Gemeinheiten anhören müssen, und auch ich wäre allen Kummer und alle Sorgen ein für alle Mal los, statt nun Ihnen und Ihrem Mann zur Last zu fallen.« Sie begann zu weinen.
»So etwas darfst du nicht sagen, ja nicht einmal denken«, sagte Abby und zog sie in ihre Arme. »Ich weiß, wie groß dein Schmerz jetzt ist und wie verlassen du dich fühlen musst. Aber das Leben ist zu kostbar, um solche Gedanken zu hegen. Denke immer daran, dass dein Vater so etwas nicht billigen würde. Und du bist uns keine Last, Emily, wirklich nicht, dessen kannst du gewiss sein.«
Weinend wie ein kleines Kind, barg sich Emily an ihrer Brust, bis der Schlaf sie endlich übermannte und sie für die Dauer einer kurzen Nacht vor ihrem tiefen Schmerz schützte.
Dreizehntes Kapitel
Die folgenden zehn Tage wurden für alle ermüdend lang, stießen sie doch zu ihrer großen Enttäuschung hinter den kleineren Bergzügen auf sumpfiges Gelände, das für die schweren Wagen nicht passierbar war, sodass sie es weiträumig umfahren mussten. Und als sie die nächste Bergkette mühsam überquert hatten, wurden ihre Hoffnungen abermals bitter enttäuscht, erstreckte sich vor ihnen doch meilenweites Ödland, das weder der mutigste noch der unerfahrenste Siedler für den Aufbau einer Farm in Betracht gezogen hätte. Mehr als drei Wochen kroch der Treck nun schon durch das fremde, wilde Niemandsland, ohne auch nur auf ein Anzeichen von fruchtbarem Boden zu stoßen. Nicht einmal Aborigines begegneten ihnen, wobei jedoch keiner mit Sicherheit sagen konnte, ob das Land wirklich so menschenleer war, wie es ihnen vorkam.
Zudem traf die Gruppe ein weiterer Schicksalsschlag, als Jessica Rigby fünf Tage nach dem Tod von Thomas McGregor in der Mittagsstunde von schweren Krämpfen und inneren Blutungen befallen wurde und eine Fehlgeburt erlitt. Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche versammelten sich die Siedler um eine versteckte Grabstelle, um Abschied von einem kostbaren Leben zu nehmen. Nicht wenige nahmen es als böses Omen, dass nun ein weiteres Grab ihren Treck ins Ungewisse säumte.
Die Stimmung sank auf einen Tiefpunkt, und mit ihr die Zuversicht der ersten anderthalb Wochen, dass sie mit dem Auszug aus der Kolonie die richtige Entscheidung getroffen hatten. Nicht einmal das beständig trockene, wenn auch kühle Wetter vermochte die trüben Gedanken zu vertreiben, die sich bei ihnen einnisteten und bald ernste Zweifel am Erfolg des Trecks weckten.
Immer häufiger kam es unter den Teilnehmern zu Reibereien und sogar zu handfestem Streit. Auch wurden die ersten Stimmen laut, die abends an den Kochfeuern oder auf nächtlichem Patrouillengang darüber nachdachten, ob das Scheitern ihres Unternehmens noch abwendbar war - und ob es nicht vielleicht besser sei, wieder in die Kolonie zurückzukehren.
Auch Abby und Andrew plagten immer wieder solche Zweifel. Aber noch wehrten sie sich mit aller Kraft und fast trotziger Zuversicht dagegen, ein Scheitern des Trecks zu akzeptieren. Die Alternative erschien ihnen nicht weniger trostlos als das Ödland, das sie durchquerten. Dass sie zudem sehr davon in Anspruch genommen wurden, sich um Emily zu kümmern und ihr über den Schmerz hinwegzuhelfen, so gut es ihnen möglich war, trug mit dazu bei, dass sie sich nicht allzu sehr in Grübeleien und banger Sorge um die Zukunft des Trecks verloren, wie das bei manch anderen der Fall war.
Für Emily waren es schreckliche, schwere Tage, in denen der Schmerz um den Verlust ihres Vaters noch so frisch und mit unbändiger Kraft in ihr wütete. Um sie wenigstens zeitweise auf andere Gedanken zu bringen, übertrugen ihr
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