Verborgen im Niemandsland
Verbrechen begehen und ungeschoren davonkommen?« Und dann, einer spontanen Eingebung folgend, fügte er noch beschwörend und im Vertrauen darauf, dass Henry Blake sich noch einen Rest von Anstand und Skrupel bewahrt hatte, hinzu: »Denn was immer dich dazu getrieben hat, Emily hier aufzulauern - ein kaltblütiger Mörder, der ein wehrloses Mädchen absticht, bist du nicht. Also, noch liegt es ganz in deiner Hand, welche Konsequenzen auf dich warten. Noch ist es nicht zu spät, dich selbst vor dem Strick zu bewahren!«
Henry starrte ihn schweigend an, und Stanley hatte den Eindruck, als wären seine Worte nicht ohne Wirkung geblieben, zeigte sich doch plötzlich ein ernüchterter Ausdruck auf Henrys Gesicht. Und fast glaubte er ihm ansehen zu können, wie sich die Gedanken hinter seiner Stirn jagten, um einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden.
»Bitte, tun Sie mir nichts, Henry!«, flehte Emily und Tränen rannen ihr nun über die Wangen. »Noch... noch ist doch nichts allzu Schlimmes passiert!... Bitte, lassen Sie mich leben. Ich könnte doch Ihre Tochter sein.«
»Hör auf zu jammern und zu flennen!«, knurrte Henry, doch seine Stimme hatte den harten, wild entschlossenen Tonfall verloren. Nervös leckte er sich über die Lippen. »Also gut, ich werde euch nichts tun. Aber einfach laufen lassen kann ich euch auch nicht. Ich... ich brauche Zeit.«
Stanley wusste, was er damit meinte. Auch wenn er sich nicht an Emily verging und sie am Leben ließ, waren seine Tage im Frangipani Valley gezählt. Um seiner gerechten Strafe zu entkommen, die zweifellos die Peitsche bedeutete, musste er sein Heil in der Flucht suchen. Und um wenigstens eine Chance zu haben, brauchte er einen genügend großen Vorsprung.
»Wir geben Ihnen Zeit bis Sonnenuntergang«, bot Stanley ihm an. »Wir versprechen Ihnen, uns bis dahin hier nicht vom Fleck zu rühren, nicht wahr, Emily?«
»Ja, das versprechen wir, bei allem, was uns heilig ist!«, stieß Emily hastig hervor.
Henry schnaubte unwirsch. »Auf euer Wort gebe ich nicht mal einen lausigen Furz! Ich werde schon selbst dafür sorgen, dass ihr euch nicht vom Fleck rühren könnt, und zwar länger als nur bis Sonnenuntergang.« Und dann forderte er Stanley auf, sein Hemd auszuziehen und es in mehrere lange Streifen zu zerreißen. »So, und jetzt kriechst du zu dem Baum hinter dir und bindest dir dort mit einem der Streifen die Beine zusammen. Und dann legst du die Arme nach hinten um den Stamm!... Na los, Beeilung!«
Stanley tat, wie ihm geheißen. Er war sicher, dass Henry ihnen kein Leid mehr zufügen würde, sondern vollauf damit beschäftigt war, sich einen Plan zurechtzulegen, wie er schnell genug aus dem Tal kommen und es seinen Verfolgern unmöglich machen konnte, ihn einzuholen.
Als er mit dem Rücken gegen den Baum gelehnt hockte, dessen Stamm er leicht mit seinen Armen umfassen konnte, und er sich selber die Füße zusammengebunden hatte, führte Henry Emily hinter den Baum und zwang sie, Stanley nun die Hände zu fesseln.
» Fester!«, herrschte Henry sie an und versetzte ihr einen derben Schlag an den Kopf. »Hältst du mich für einen Tölpel, dass ich nicht sehe, was du vorhast? Zieh fest zu!... Ja, so ist es richtig!... Und weil du das so schön kannst, machst du gleich noch einen zweiten Knoten!«
Stumm folgte Emily seinen Anweisungen.
»So, und jetzt runter mit dem Kleid!«, befahl er, als er sich vergewissert hatte, dass beide Fesseln straff gebunden und fest verknotet waren.
»Bitte, nicht!«, rief Emily entsetzt und von der Angst gepackt, dass er nun doch noch tun würde, wovon ihn Stanleys Auftauchen im letzten Augenblick abgehalten hatte. »Sie haben doch versprochen...«
»Halt das Maul!«, fuhr er sie an. »Mir ist bei deinem jämmerlichen Gewimmer längst die Lust vergangen, dir zu zeigen, was ein richtiger Mann ist! Vielleicht kommt dein Grünschnabel ja irgendwann mal auf den Trichter, wie man es einer Frau richtig besorgt! Und jetzt runter mit dem Kleid! Ich brauche den verdammten Fetzen, um auch dich zu fesseln. Und jetzt mach schon!«
Am ganzen Leib zitternd, zog Emily ihr Kleid aus und hockte sich dann einige Schritte von Stanley entfernt an einen anderen Baum, damit er sie fesseln konnte.
Als das geschehen war, benutzte Henry die restlichen Stoffstreifen, um ihnen Knebel anzulegen. »Wir wollen doch nicht die friedliche Stille mit wildem Geschrei stören«, sagte er sarkastisch.
Er hatte sich schon von ihnen abgewandt, als er plötzlich
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