Verborgen im Niemandsland
schnelleren Weg finden. Sie brauchte ein Pferd, am besten noch ein Pferd und einen leichten Wagen. Denn sie wollte unbedingt dabei sein, wenn sich Danesfield mit seinem Trupp auf die Spur des Trecks machte und die Chandlers stellte, wo immer sie sich in der Wildnis auch verkrochen haben mochten. Aber wie sollte sie so ein Gespann bloß auftreiben?
Als sie das Tor zum Gefängnishof passierte und sah, wie Winston gerade mit einem schweren Eimer Wasser in der Linken und einem Sack mit vermutlich altem Brot die Stufen zum Zellentrakt hochstiefelte, schoss ihr plötzlich ein elektrisierender Gedanke durch den Kopf.
Die Gefängniskasse!
Zu Beginn eines jeden Monats wurde Winston zu seinem Lohn noch eine recht ordentliche Summe ausgehändigt, damit er alle notwendigen Ausgaben zur Versorgung der Inhaftierten bestreiten konnte. Auch hielt er dort einige Schmuckstücke wie Eheringe und Broschen unter Verschluss, die er einigen der besser gestellten Gefangenen abgenommen hatte. Nichts, was für sich allein viel Wert besessen hätte, aber alles zusammen wäre doch eine ansehnliche Summe.
Cleos Entschluss war gefasst. Sie würde die Kassette aufbrechen und sich nehmen, was sie brauchte, um bei George Hennessey Pferd und Wagen zu kaufen. Der pockennarbige Pfandleiher konnte einem alles besorgen, und vor allem stellte er einem auch keine lästigen Fragen.
Sie eilte in das Haus, holte die schwere, rostfleckige Eisenkasse aus der Holztruhe und suchte dann fieberhaft nach einem Werkzeug, mit dem sie die Schatulle aufbrechen konnte. Denn den Schlüssel zur Gefängniskasse trug ihr Mann stets bei sich.
Vorn in der Schreibstube stieß sie schließlich auf Cecil Boones Werkzeugkasten, den er dort neben dem Schreibpult abgestellt hatte. Hastig wühlte sie darin herum und fand endlich das passende Werkzeug - ein solides Stemmeisen. Wie gut, dass Cecil auf Ordnung hielt!
»Na also!«, murmelte Cleo zufrieden, eilte zurück ins andere Zimmer und nahm erst noch schnell einen kräftigen Schluck aus ihrer Flasche, bevor sie sich an die Arbeit machte. Sie stellte die Kassette hochkant auf den Boden, setzte die abgeflachte Spitze des Stemmeisens in den Spalt unter dem Deckel und drückte das Eisen erst mit aller Kraft in die Ritze und dann nach hinten.
Zu ihrer großen Verblüffung brauchte sie sich gar nicht groß anzustrengen. Schon beim ersten Versuch hatte sie Erfolg. Es gab ein leises, metallisch knackendes Geräusch - und dann sprang auch schon der Deckel auf. Der innere Haken des Schlosses war von Rost zerfressen gewesen und glatt durchgebrochen!
Eine Hand voll Münzen sowie ein halbes Dutzend Eheringe und andere kleinere Wertgegenstände waren herausgefallen und lagen um die Kassette herum am Boden verstreut. Sie sah auf den ersten Blick, dass schon das Geld mehr als ausreichte, um mit George Hennessey ins Geschäft zu kommen. Aber es schadete nichts, wenn sie auch noch von den anderen Kleinigkeiten, die ihr Geizhals von Mann so geduldig gehortet hatte, einiges mitnahm.
Zum Teufel mit ihm!
Zwar würde er ihr bei ihrer Rückkehr die Hölle heiß machen, weil sie die Kasse geplündert hatte. Aber er würde sich hüten, sie vor den Richter zu bringen. Am Galgen wollte er sie nicht sehen, so viel wusste sie. Zudem würde dann auch er in einem sehr schlechten Licht dastehen und womöglich den Posten als oberster Gefängniswärter verlieren. Nein, er würde zwar toben wie nie zuvor, aber den Mund halten und die Gefangenen eben auf halbe Kost setzen, bis es wieder Lohn und neues Monatsgeld zur Gefangenenversorgung gab.
»Was tust du da?«
Zu Tode erschrocken, fuhr Cleo hoch. Winston stand in der Tür! Sie hatte ihn nicht kommen gehört! Aber wieso war er schon so schnell zurück?
Im nächsten Augenblick sah Winston die aufgebrochene Kassette und begriff, wobei er sie überrascht hatte. »Du verkommenes, hinterhältiges Stück!«, schrie er in wildem Zorn. »Du schreckst wohl vor keiner Schandtat zurück, was? Aber dir werde ich es zeigen, mich bestehlen zu wollen, deinen eigenen Mann!« Er stürzte sich auf sie und wollte ihr die Münzen aus der Hand reißen.
Cleo wehrte sich mit aller Kraft, doch sie wusste, dass sie ihm nicht gewachsen war. Ihr Blick fiel auf die noch halb volle Flasche, die in ihrer Reichweite stand. Ohne lange zu überlegen, griff sie danach, holte aus und schlug sie ihm gegen den Kopf, ohne dass sie dabei zerbrach.
Winston gab einen kurzen, jäh abbrechenden Schrei von sich. Sein Blick wurde glasig. Er
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