Verborgen im Niemandsland
innehielt und zu Stanley zurückkehrte.
»Wir wollen voneinander Abschied nehmen, so wie du es verdient hast, du Held!«, sagte er verächtlich - und schlug ihm das Griffende seines Buschmessers brutal gegen die rechte Schläfe.
Stanley gab einen erstickten Aufschrei von sich und sackte bewusstlos in sich zusammen.
»Das war für den Versuch, mir den Schädel einzuschlagen, Bursehe!«, sagte Henry mit grimmiger Genugtuung. Dann wandte er sich Emily zu, tippte sich mit der Messerspitze wie zum Gruß leicht gegen die Stirn und sagte mit beißendem Spott: »So, jetzt habt ihr euer kleines Liebesnest ganz für euch allein. Nun genießt mal die vielen Stunden! Könnte eure erste gemeinsame Nacht werden!« Und mit höhnischem Gelächter machte er sich davon.
Verzweifelt und voller Angst versuchte Emily, Stanleys Namen zu rufen. Sie fürchtete, Henry könne ihn erschlagen haben. Aber der Knebel erstickte jeden Laut in ihrem Mund. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
Einundzwanzigstes Kapitel
»Was sagen Sie da?«, stieß Cleo ungläubig hervor und rang nach Atem, war sie doch den Weg zur Garnison hinauf fast gerannt. Es war schon Abend, und sie hatte Danesfield noch unbedingt sprechen wollen, bevor sich dieser mit seinen Offizierskameraden irgendwo zum Kartenspiel traf, wo man ihr gewiss keinen Einlass gewähren würde. »Wohin ist Lieutenant Danesfield aufgebrochen?«
Geschlagene sechs Tage hatte sie gebraucht, um nach Camden und wieder zurück nach Sydney zu kommen. Und dann erwartete sie solch eine Nachricht! Sie hätte sich die Haare raufen können.
Sergeant Simonton bedachte sie mit einem gereizten Blick. Allmählich wurde ihm das Weib lästig. »Hast du was an den Ohren?«, blaffte er sie an. »Ich habe dir doch gesagt, dass er vorgestern mit einem Trupp Soldaten zum Hawkesbury aufgebrochen ist, um nach dieser Abby Lynn Chandler und ihrem Mann zu suchen.«
Cleo war so verblüfft, dass sie den gereizten Tonfall des Sergeanten kaum zur Kenntnis nahm. »Und wann, sagten Sie, kam der Bericht von Norfolk Island?«
Der Soldat verdrehte die Augen. »Himmel, du tötest mir auch noch den letzten Nerv!«, stöhnte er auf, weil er wusste, dass sie keine Ruhe geben würde, bevor sie nicht alles haarklein erfahren hätte. »Am zweiten Dezember ist die Rosebud hier eingelaufen. Ja, du hast dich im April nicht in der Frau getäuscht und nun Recht bekommen. Diese Abby ist tatsächlich von der Phoenix entkommen. Eine andere Frau, die schwer an Schwindsucht erkrankt war und kurz nach der Ankunft auf der Insel daran gestorben ist, hat ihren Platz eingenommen. Wie ihr richtiger Name war und wie sie das geschafft haben, weiß keiner. Sicher ist nur, dass ein gewisser Travis Bigsby, einer der Gefangenenwärter an Bord der Phoenix, diesen Tausch offenbar eingefädelt hat, zweifellos für einen ordentlichen Batzen Geld, sonst hätte er das nicht gewagt. Dummerweise ist dieser Mistkerl desertiert, bevor man seiner habhaft werden konnte. Er hat sich auf ein Schiff abgesetzt, das vor einem schweren Sturm dort im Hafen Zuflucht gesucht hatte und wenige Tage nach dem Einlaufen der Phoenix nach Batavia weitergesegelt ist. So, und das ist alles, was ich über die Sache weiß. Und jetzt verschwinde!«
Cleo ersparte es sich, ihm zu berichten, was sie in diesen Tagen über Abbys Verbleib in Erfahrung gebracht hatte. Das wäre nichts als Zeitverschwendung gewesen. Ja, Perlen vor die Säue geworfen! Zudem hatte sie jetzt Wichtigeres zu bedenken, nämlich wie sie so schnell wie möglich zu Lieutenant Danesfield und seinem Kommando kommen konnte, die am völlig falschen Ort nach Abby und Andrew Chandler suchten. Zu unruhig, um sich im Boar's Head oder Black Dog an ihren Stammplatz zu setzen und sich einige Becher Rum zu genehmigen, kaufte sie sich in der nächsten Taverne eine bauchige Flasche, mit der sie den Abend und einen Gutteil der Nacht wohl über die Runden kommen würde.
Während sie sich auf den Weg zum Gefängnis machte, nahm sie immer wieder einen Schluck aus der Flasche und zermarterte sich den Kopf, wie sie es bloß anstellen sollte, so schnell wie möglich zum Hawkesbury River zu kommen. Die Vorstellung, sich wieder der Milde irgendwelcher Farmer oder Flussschiffer überlassen zu müssen, die sie auf dem Weg nach Norden mitnahmen, war ihr zuwider. Die letzten sechs Tage reichten ihr. Auch würde es viel zu lange dauern, auf diese Weise zu den Farmen und kleinen Siedlungen am Hawkesbury zu kommen.
Sie musste einen
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