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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Richtung Tür und blieb mit dem Gesicht dicht am Fenster. Die Unterhaltung während der Fahrt bestand lediglich aus einem nicht enden wollenden Hickhack zwischen Max, der zu Eberhard sagte, er solle mit dem Gesumme aufhören, und Eberhard, der erwiderte, er habe nicht gesummt, woraufhin Max sagte, doch, habe er wohl, und zum Beweis die Melodie summte, woraufhin Eberhard ruhig erklärte, das sei ja alles schön und gut, aber er habe nun mal nicht gesummt, er finde Summen abgeschmackt, mit Pfeifen und Singen sei es etwas anderes, das täte er mitunter… und so weiter, durch Afision hindurch und bis zum HellaSpar an der Abzweigung zum Ortheion, wo die Zigeuner ihre Mädchen feilboten und herumlungerten, in der Hoffnung auf Münzen, die sie für Zigaretten und eine Flasche Landwein sparten. Seltsam war auch, dass Natsuko und Eleschen nicht gemeinsam nach Hause fuhren. Ob sie ebenfalls Streit gehabt hatten? Er brachte nicht den Mut auf, danach zu fragen.
    Eberhard setzte ihn vor dem Hotel ab und hielt nicht an, als Ben sich erkundigen wollte, was sie später noch vorhatten. Er setzte mit dem Delux zurück und redete schon mit gebleckten Zähnen auf die verbliebenen Insassen ein. Er wirkte zornig und aufgeschreckt, und Ben sah sich nach etwas um, was ihn so aus der Fassung gebracht haben mochte, aber es herrschte kein Verkehr, die Straße war leer bis auf die Orangenbäume, die beleibten Palmen und den Kioskbetreiber, der einem Schwarzen mit einem Handy am Ohr – eine so seltene und aufsehenerregende Erscheinung wie ein Nubier im alten Rom – Telefonkarten verkaufte.
    Er hielt es zwei Stunden allein in seinem Hotelzimmer aus, lief auf und ab und las Zeitungen ( Proteste gegen NATO-Truppen, Familie appelliert an Entführer und Weitere Bombenattentate in Madrid erwartet , als ließen Bomben sich auf einmal vorhersagen wie Regenfälle), dann rief er Natsuko auf dem Handy an, wo sich aber nur die Mailbox einschaltete (ihre Stimme klang zu hoch und kokett, wie eine Parodie auf ihre eigentliche), und stieg schließlich wieder in seine verdreckten Stiefel. Erst ging er zu Eberhard, dann weiter zum Kathedralenplatz und die Thermopylon-Straße hinauf, traf aber niemanden an, oder zumindest machte ihm niemand auf, und als er auf dem Rückweg wieder bei Eberhard vorbeikam, sah er dessen Wagen auch nirgendwo stehen.
    Auf dem Hauptplatz, vor dem beleuchteten Schaufenster von Mister Donut, schaute er durch die Bäume zum Himmel hinauf. Irgendwo übte eine Kapelle, Blechbläsertöne wärmten die Luft auf. Der Unabhängigkeitstag stand bevor. Es war wieder kälter geworden. Die Sterne verschwanden hinter Wolken, der Mond streute mattes Licht durch Nebel, und er empfand Bedauern, gepaart mit Erleichterung.
     
Am folgenden Nachmittag trat Chrystos an ihn heran. Er schaufelte Rücken an Rücken mit Jason in dem engen Schacht der Osthalde, beide ohne viel zu reden, schon gar nicht über das, was am Abend zuvor los gewesen war; Jasons Kraftausdrücke und die Art, wie er mit den Ellbogen herumfuhrwerkte, sagten schon alles.
    Er war zum dritten Mal auf Bruchgestein gestoßen, riss Felsbrocken heraus wie faule Zähne und begutachtete gerade sein verbogenes Schaufelblatt, als ein Schatten auf ihn fiel und er, von der Sonne halb geblendet, Chrystos vom Grubenrand zu sich herunterspähen sah.
    »Du hast eine leichte Stelle übersehen. Gleich da.«
    »Die hebe ich mir für später auf«, sagte er, hielt inne, um zu Atem zu kommen, und hörte Chrystos von oben glucksen, den hohlen Widerhall an den Grubenwänden.
    »So wie das beste Stück Fleisch. Ich wollte mit dir reden.«
    »Worüber?«
    »Über den Schakal, den du getötet hast.«
    Er hörte hinter sich Erdklumpen poltern, als würde Jason sie nicht hinausbefördern, sondern in die Grube schaufeln. Die Osthalde war tief, aber nicht lang. Sie standen dicht beieinander.
    »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, wirkte er ganz lebendig«, sagte er, und Chrystos lächelte erneut. Der schräge Lichteinfall ließ seinen Kopf nur als Umriss erkennen, hob aber die Falten um seine Augen hervor, machte einen gütigen alten Mann aus ihm.
    »Nicht das Weibchen. Ich meine den Rüden.«
    »Das Weibchen?« Aus Jasons Stimme, dicht bei seinem Ohr, hörte er heraus, dass dieser es im selben Moment begriffen hatte wie er.
    »Das Weibchen ist trächtig. Sie sollte in ihrem Bau bleiben. Sie muss großen Hunger haben. So großen Hunger, dass sie hergekommen ist, dorthin, wo Menschen sind, um nach ihrem Gefährten zu

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