Verborgen
suchen. Aber sie wird ihn nicht finden. Weil ihr Gefährte tot ist.«
»Woher weißt du das?«
»Weil sie gekommen ist.«
»Wir haben ihn nicht getötet«, sagte Jason schroff, und Ben fuhr zusammen; in seiner Stimme schwangen Furcht und Wut mit. »Wir jagen Kaninchen, Vögel, weiter nichts.«
»Sparta ist klein. Jeder redet mit jedem. Wenn jemand anderer …«
»Dann war es eben keiner. Vielleicht hat ihn ein Auto erwischt. Irgendwann müssen sie eben sterben.«
»Irgendwann ja.«
»Also wir waren es nicht. Und was schert dich das überhaupt? «
»Nichts. Eure Angelegenheiten sind eure Sache.«
»Was passiert denn jetzt mit ihr?«, fragte Ben. »Wo der andere doch tot ist?«
Chrystos stützte die Hände auf die Knie und schickte sich an aufzustehen. Seine Augen ruhten immer noch auf Ben. Später fiel ihm ein, dass er Jason keines Blickes gewürdigt hatte.
»Du hast sie ja gesehen. Sie kann nicht jagen und muss für viele fressen.«
»Das heißt, sie wird sterben?«
»Ja, natürlich. Einer tot, alle tot«, sagte er, zog sich zurück und war verschwunden.
Außer im Schlaf sah er das Weibchen erst nach fünf Tagen wieder.
Am Sonntagmorgen träumte er von der Höhle: Ein Felsspalt, halbvoll mit Geröll und lockerer Erde. Der schmale Zugang und die Opuntien ließen kein Licht hineinfallen, doch er hörte den Schakal, seinen schweren Atem dicht hinter ihm im Dunkel, nahe bei seinem Ohr wie der von Jason in der Grube. Hin und wieder vernahm er noch andere Geräusche, ein Winseln und ein dumpfes, unregelmäßiges Schaben und Mahlen wie von einer Feile, die über eine Kelle schrappt, und es dauerte unerträglich lang, bis ihm dämmerte, was er da hörte: Das Tier fraß sich selber auf.
Beim Aufwachen roch er Chlor. Die Dusche lief, und auf dem Boden lag ein rosaweißblauer Haufen: Natsukos Turnschuhe, ihr T-Shirt und ihre Jeans. Er hatte ihr keinen Schlüssel überlassen, aber irgendwie war es ihr in der vergangenen Woche trotzdem gelungen, sich Zugang zu verschaffen. Er verdächtigte den Jungen mit den angeklatschten Haaren und wusste nicht recht, ob er sich schlicht für sich freuen oder nicht doch auf ihn eifersüchtig sein sollte.
Als sie splitternackt ins Zimmer kam, stellte er sich schlafend, sah ihr zu, wie sie hin und her lief, Tee machte, sich abtrocknete, seinen Morgenmantel stibitzte, bis sie schließlich aufsah und ihn erwischte.
»Böser Mann.«
»Guter Mann. Komm her, dann zeig ich’s dir.«
»Nein. Du bist mir zu böse. Und zu faul.«
»Wieso, wie spät ist es denn?«
»Du hast den ganzen Vormittag verschlafen. Wie eine Katze.«
Er sah auf die Uhr und fluchte, obwohl er guten Gewissens lange schlafen durfte; dann fiel ihm der Traum wieder ein, und er warf die Decken von sich, wollte nicht wieder zurück zu dem Spalt und dem mahlenden Geräusch.
Das Teewasser kochte. Ein schräg einfallender Strahl Mittagssonne erhellte den Dampf. Natsuko war wieder im Badezimmer verschwunden und sang.
»Du klingst so vergnügt. Wo warst du denn?«
»Schwimmen.«
»Immer beim Schwimmen. Du musst in einem früheren Leben ein Fisch gewesen sein.«
Nebenan begann der Fön zu heulen, verstummte und setzte wieder ein, zerhackte Natsukos Sätze. »… Delphin. Deswegen esse ich so gerne… nicht den ganzen Vormittag. Auch Kirche.«
Er ging zu dem Teekessel. »Zur Kirche?«
»… manchmal. Wir gehen mit Max hin. Er ist sehr gläubig. Und hier in den Kirchen ist alles so reich verziert.«
»Das wusste ich nicht«, sagte er und goss das Wasser in die Kanne. »Ich dachte, in Japan glauben sie an was anderes.«
»Wo ich herkomme, gibt es auch Christen.«
»Du glaubst also an Gott?«, fragte er und spürte, wie sie genüsslich ihre Arme, noch feucht von der Dusche, um ihn schlang.
»Es ist wichtig, an etwas zu glauben.«
»Ich hab von dem Schakal geträumt«, sagte er und umschloss ihre Finger, die sein Haar zwirbelten.
»Vom Töten zu träumen, bringt Glück.«
Nicht von dem Schakal, dachte er. »Sagt das dein Gott?«
»Nein. Aber ich habe viele Götter.«
»Schön für dich. Und was bringt Pech?«
»Vom Getötetwerden zu träumen«, sagte sie und drehte ihn zu sich um.
In der folgenden Nacht suchte er ihn wieder heim, ein Albtraum mündete in den nächsten, wie ein Blutstrom.
Erst sah er das Tier, das im Fluss ertrank, die Augen von Unrat weggeätzt. Danach, als hätte Natsuko ihn mit einem Fluch belegt, träumte er von der mörderischen Jagd selbst, den Hügeln, dem Wald und der Lichtung,
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