Verborgen

Erst als ihr Wagen nah herangekommen war, erkannte Ben, was es war.
    Das Schakalweibchen war am Schwanz aufgeknüpft. Hinter-und Vorderläufe hingen herunter, nur ein Ohr war gespitzt, als wollte es weiter lauschen. Das Tier war grob ausgeweidet. Ein langer Schnitt führte hinauf bis zum Kinn, alle Gliedmaßen waren bis zu den Klauen aufgeschlitzt. Der Bauch schlabberig ausgeleiert und leer.
    Der Kopf hing ein gutes Stück über der Ladefläche. Im Vorbeifahren sah Ben die Augen, zu Schlitzen verengt, und die gefletschten weißen Zähne, zu ewigem Grinsen verdammt.
    Schweigen im Auto, gedehnt wie angehaltener Atem. Vor der Hauptstraße staute sich der Verkehr und kroch dahin, bis sie die Brücke hinter sich hatten. Dann beugte sich Eleschen an Eberhard vorbei nach vorn, ihre weißen Hände schlossen sich um die Rücklehne.
    »Müssen wir uns Sorgen machen?«
    »Nicht im Geringsten.«
    »Aber was glaubst du, wo …«
    Jason brummte. »Die müssen sie gestern Nacht erwischt haben.«
    »Jason hat recht«, sagte Eberhard. »Wenn sich da was täte, hätten wir es schon gemerkt. Dafür waren wir gut aufgestellt. Außerdem würden sie den Kadaver nicht so zur Schau stellen, wenn irgendjemand was gefunden hätte.«
    »Gefunden?«, fragte Ben. »Sie haben sie doch gefunden, oder? Was gäbe es denn noch zu finden?«
    Keine Antwort. Sie fuhren weiter, am Hotel vorbei, hielten auch bei Eberhard nicht an, sondern steuerten den Kathedralenplatz an. Die bunten Wimpel waren noch nicht angestrahlt und die Straßen noch nicht übervölkert, aber es tummelten sich doch schon etliche Leute dort, präsentierten sich im Sonntagsstaat mit ihren Kindern, und es herrschte allgemeine Festtagsstimmung
    »Zeit für einen Drink«, sagte Jason. »Wer ist mit dabei? Die erste Runde geht auf mich.«
    »Was könnten sie denn finden?«, fragte er wieder, doch auch diesmal blieb die Antwort aus.
    »Was für ein grässlicher Song«, sagte Eberhard träge, worauf Jason einen verächtlichen Zischlaut ausstieß.
    »Du musst grade reden, bei dem Scheiß, den du dir immer anhörst. Dir könnte es das Trommelfell raushauen, und du merkst immer noch nicht, dass das gute Musik ist.«
    Sie kamen zu dem Platz. Zwei Priester schritten die breiten Stufen vor der Kathedrale hinunter, umgeben von alten Frauen, die sich hinaufmühten, alle – Frauen wie Priester – in Schwarz, geschäftig und zielbewusst wie Ameisen. Rings um den Wagen flogen Tauben auf, ihre Schwingen leuchteten in der Sonne.
    »Meine Definition eines schlechten Songs …«, setzte Sauer an, doch Eleschen fiel ihm ins Wort.
    »Ich wünschte, es wäre Sommer.«
    »Wieso?«, fragte er, immer noch verwirrt, doch er ließ sich von ihrer Erleichterung ergreifen, von ihrer Fröhlichkeit anstecken, wollte verstehen – das wollte er mehr als alles andere –, und Jason lachte, fast schon freundlich, während Eleschen sich zu ihm hinbeugte und ihn küsste.
    »Weil es im Sommer hier so schön ist, Ben. Weil wir dann mit allem fertig sind. Und weil ich die Zikaden singen hören will.«
     

XII
     
    Aufzeichnungen für eine Doktorarbeit
     
    Gestern Abend habe ich wieder Sirenen gehört. Heute Morgen roch es auf den Straßen beißend nach Rauch. Ein paar Schwaden hingen noch über dem Fluss.
    Kreuzwort hat mir von dem Brand erzählt. Sie war draußen auf der Treppe, goss die Bäume an der Straße und hat mich in ein Gespräch verwickelt. Ihr Gesicht leuchtete förmlich vor Freude darüber, die Geschichte an den Mann zu bringen.
    Es waren die yifti (hat Kreuzwort gesagt), alle in Feierlaune und betrunken wie die Russen. Die Frauen trinken genauso viel wie die Männer, und vertragen tun sie alle nichts. Die Kinder sind freche Rotznasen, und die Frauen (sagte Kreuzwort und nahm mich beim Arm) sind noch schlimmer als die Männer. Die haben Messer in ihren Röcken stecken. Es brennt andauernd irgendwo, weil sie finden, dass es so schön aussieht, wenn was in Flammen steht, und darum zündeln sie so gerne. Diesmal hat es ein altes Haus erwischt, draußen an der Straße nach Gythion. Wobei da nicht viel niederzubrennen war, das sind solche Bruchbuden, die Hälfte davon ist ohnehin schon hinüber.
    Später habe ich mit Elias geredet. Seine Version ist eine andere. Er sagt, es seien Männer aus dem Ort gewesen, sieben oder acht, die sich einen Spaß machen wollten. Ein Mädchen wurde verletzt. Verbrannt ist niemand. Polizei und Feuerwehr waren da. Mehr sagt er nicht.
    Sirene . In den alten Sagen sind die Sirenen