Verborgen
begreifen.«
»Ich geb mir Mühe.«
»Ich weiß. Du machst dich gut. Viel besser, als ich gedacht hätte. Sogar Max ist beeindruckt.«
»War das so eine Art Test? Die Jagd, meine ich.« Eberhard schüttelte den Kopf und tat die Frage mit einem Schulterzucken ab.
»Ich hab dich mal gesehen, weißt du. Am Oxford-Kanal. Du warst mit dem Fahrrad unterwegs.«
»Das wusste ich nicht, dass du mich erkannt hast«, sagte Eberhard.
»Du hast geweint.«
»Ja, stimmt.«
Eine Fledermaus flatterte durchs Dunkel. Er dachte an Metamorphosis. An die mit Blut durchsetzten Eier, monströs, Rot als Warnung. Er nahm das Glas, das Eberhard ihm anbot, und trank es auf einen Sitz halb aus, froh über den herben Wein, weil ihm leicht übel war.
»Ist dir nicht gut?«
»Doch, alles okay. Hattest du … hattest du damals jemanden verloren?«
»Verloren? Nein, nein. Meine Angehörigen sind alle am Leben und gesund. Gut genährt, gut betucht, gut etabliert. Sie hüten ihre Schätze wie die Nibelungen, in Berlin, London und New York. Nein, da gibt es keine Verluste. Jedenfalls keine tödlichen.«
»Warum hast du dann geweint?«
»Um Sparta.«
»Aber«, setzte er an, wusste aber nicht weiter; schließlich sagte er: »Aber du warst doch in Oxford.«
»Aber Oxford lebt und ist wohlauf. Oder denkt das jedenfalls. Niemand braucht um Oxford Tränen zu vergießen. Die Stadt ist mit ihrem Los zufrieden. Glücklich. Bist du glücklich, Ben?«
»Glücklicher, als ich je war«, antwortete Ben prompt.
»Da bin ich froh«, sagte Eberhard und hob das Glas. »Auf das Glück?«
»Auf das Glück.«
Grabungspredigten lautete ihr Wort dafür. Bei Missy hießen sie anders – Halbzeitbesprechungen, Teamgespräch –, aber in den vergangenen vierzehn Tagen waren die Mittagssitzungen mehr und mehr von Gesprächen zu Monologen geworden. Alle zehn saßen sie da und hörten zu oder taten so oder taten nicht einmal das, wie Kinder in der letzten Schulbank, die zwischen den Knien Klatsch per SMS austauschen. Natsuko aß meist schon, Jason beäugte Eleschen, Themeus stocherte in den Zähnen, wofür er von Elias geknufft wurde, Max und Giorgios brüteten vor sich hin, und Missys Blick fiel regelmäßig auf Ben, Hilfe suchend, flehentlich und anklagend zugleich, wütend und bedrückt. Außer ihr selbst hörte ihr niemand zu.
»Okay! Die Sonne lacht, der Himmel ist blau, und ich hab euch alle lieb, aber in meinen Schuhen steht das Wasser, und meine Extrasocken locken mich mit Sirenenklängen wie einst Ligeia und Leukosia. Herbei, wackere Bürger. Was gibt es Neues heute Morgen?«
Freitag. Der Himmel kobaltblau. Die Gruben wie offene Gräber. Bienen im Sturzflug durch die Alpenveilchen.
»Hallo? Erde an Planet Spartacus, hört mich jemand? Was tut sich im Untergrund? Was haben wir? Schweineställe, Scherben, schöne Paläste? Kommt schon, Leute, spuckt was aus.«
Jason saß neben ihm auf der Treppe des Menelaions, lässig eine Zigarette in der Hand, spindeldürr wie ein Glamrockstar, seine Kniescheiben bohrten sich durch die Jeans. Den Mund dicht an Natsukos Hals, flüsterte er: »Was ist das denn?«
»Hör auf, das kitzelt.«
»Nur wenn du mir sagst, was das ist.«
»Fermentierte Sojabohnen.«
»Fermentiert? So wie Bier?«
»Bier ist schlecht. Das hier ist gut. Powerfrühstück. Willst du probieren?«
»Nicht für viel Geld. Das sieht ja aus wie gekotztes Apfelmus. Gruselig, dass du so was isst …«
»Jason! Wie steht’s mit dem Anglerglück heute?«
»Was ist?«
»Nichts am Haken? Kein fetter Bissen? Keine vergrabenen Schätze? Wo bist du gerade zugange, mein Guter?«
»Bronzegraben.«
»Als ich vorhin vorbeigekommen bin, sah es aus, als tätest du was. Läuft deine Arbeit unter Geheimstufe drei, oder dürfen wir daran teilhaben?«
Bevor Jason kontern konnte, verzog Chrystos das Gesicht und hob den Arm. Missy stürzte sich auf ihn wie eine Ratte auf frisches Kalbfleisch.
»Chrystos!«
»Wir haben Richtung Westen noch mehr von der Einlagerung gefunden. Jason hat mit mir zusammen gearbeitet.«
»Super. Das ist die aus dem Späthelladikum?«
»Sie führt jetzt durch drei Ebenen. Die Kiesdeckschicht und zwei Lehmböden.«
»Danke, Chrystos. Das hört sich vielleicht nicht gerade berauschend an, aber es lohnt sich immer, im Umfeld einer Grube nachzubohren. Die Buddelei ist Schwerarbeit, das wisst ihr alle. Und ihr wisst auch, dass die Mühe nie umsonst ist. Trotzdem… für heute scheinen sich alle einig zu sein, dass es nur langsam
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