Verborgen
verfärbt, das Wasser brutzelte in der Sonne, übel riechend und gespenstisch still, was auch noch das leiseste Geräusch unmäßig verstärkte. Als eine Schlange vor ihnen beiseitezuckte, verknüpften sich Natsukos Aufschrei und Sylvias Geheul zu einem ohrenbetäubenden Missklang, der von der Felswand über ihnen widerhallte und sie alle mehr erschreckte, als die Schlange selbst es getan hatte.
Sie kamen beim Hauptstrand heraus, setzten sich in den Schatten einer Tamariske und teilten sich zu viert eine halbe Flasche Wasser aus Natsukos Vorrat. Zwei alte Männer mit wahren Prachtbäuchen über schwarzen Badehosen schlenderten Zigarre rauchend strandauf und strandab. Weiter weg spielte ein Rudel Mädchen neben aufgereihten Bastsonnenschirmen Beachtennis, dass die Gischt nur so spritzte. Die hoch aufragende Nordspitze von Sphakteria lugte über eine Meerenge zu ihnen herüber.
»Wir könnten hinschwimmen«, schlug er übermütig vor, doch zu seiner leisen Enttäuschung sprang keiner der beiden auf die Idee an.
»Meine Armbanduhr …«
»Die verstecken wir unter einem Stein.«
»Es ist zu weit für Sylvia.«
»Außerdem«, sagte Eberhard, »gibt’s hier mehr als genug zu sehen, wozu sich dafür im Wasser abmühen?«
»Ich dachte, du wolltest ein Boot mieten?«
»Wollte ich auch. Und dann habe ich mir gedacht, im Grunde hat Jason recht. Wieso sollen wir in die Fußstapfen derer treten, die kapituliert haben?«
Seine Stimme hatte sich abgekühlt.
»So hat er es aber nicht ausgedrückt.«
»Aber vielleicht so gemeint. Jason ist oft weniger geradeheraus, als die Leute denken oder ihm zutrauen. Er weiß, was er will, und das kann er gut für sich behalten. Seid ihr so weit? Die alte Burg ist gleich hier oben.«
Sie setzten sich erneut in Gang. Der Pfad führte aufwärts und um das grüne Massiv der Landzunge herum. Die Sonne stand nun höher und heißer am Himmel, und zum zweiten Mal hinkte er hinterher. Anfangs passten sich Eberhard und Natsuko seinem Tempo an, doch Sylvia war bald außer Sicht.
Sie waren schon ein gutes Stück über dem Meer. Die struppigen Ölbäume und Zypressen am Steilhang unter ihnen gingen in einen Strand mit großen Felsblöcken über, gigantischen Eiern und Kuppeln, vom Ionischen Meer glatt geschliffen; und hoch über ihnen, Richtung Norden, der schartige Umriss einer Festung mit weiß leuchtenden Zinnen in der Mittagssonne.
»Da wollen wir hin?«
»Ganz richtig.«
»Das ist aber nicht gerade gleich ums Eck.«
»Du hörst dich an wie Jason, wenn du so rumnölst.«
»Ich nöle nicht, ich sage bloß …«
Sie erklommen eine Reihe geborstener Stufen; die letzten waren eher Griffe als Tritte, in nackte trockene Erde gerammte Steinkeile. Natsuko bot ihm Hilfe an, was er zunächst übersah und dann grob abwehrte, genervt von der Sonne und seinem Versagen. Über ihnen, zwischen Zypressen, hatten Spinnen ein Netz ums andere gesponnen, große, staubig graue Labyrinthe.
»Was hat sich hier noch mal abgespielt?«, fragte er, und sie schaute über die Schulter besorgt zu ihm hin, als hätte er sich erkundigt, in welchem Jahr sie sich gerade befanden. »Nicht das mit den Spartanern, da war doch noch was anderes.«
»Navarino«, sagte Eberhard. Er war ihnen mittlerweile weit voraus, seine Stimme drang bald lauter, bald leiser durch die Bäume. »Neunzehntes Jahrhundert. Die letzte große Schlacht zwischen Linienschiffen. Ganz in der Nähe von Sphakteria. Sie steht gewissermaßen für das Ende der osmanischen Seemacht. Die Kriegsflotte von Ibrahim Pascha wurde vernichtet. Dreitausend Mann verbrannt oder ertrunken. Ein guter Tag für Griechenland. Ein prächtiger Tag für Europa, könnte man sagen. Engländer, Russen und Franzosen sahen zu, wie die Schiffe der Muselmanen die ganze Nacht hindurch brannten. Die Admiräle wussten, was seither so viele vergessen haben: dass dies der äußerste Vorposten der Christenheit ist. Es gibt ein paar Gemälde davon, alle nicht besonders gut, aber die Schiffe machen schon was her. Die Kastor und die Konstandin, die Sirène und die Scipion , die Asia und die Albion …«
Er war außer Sichtweite, bevor seine Stimme verklang. Ben und Natsuko setzten den Anstieg gemeinsam fort. Zwei Eidechsen huschten beiseite, dünn wie Grashalme. Sylvia bellte fragend von irgendwo weiter unten; Eberhard schickte von oben einen Pfiff zurück.
»Ein hübscher Gedanke«, sagte Natsuko.
Er knirschte mit den Zähnen, gereizter denn je von ihrer Trittsicherheit und, mehr
Weitere Kostenlose Bücher