Verborgen
Homer den Ort genannt. Und da war noch etwas gewesen, ein weiteres bedeutsames Ereignis neben der Niederlage der Spartaner … was denn nur? Etwas aus der Neuzeit, oder doch beinahe – Nicht Ihre Periode , hätte Frau Fischer von der British School gesagt –, aber genauer bekam er es nicht zu fassen, das Wort lag ihm auf der Zunge, die Erinnerung wollte sich nicht greifen lassen.
Doch das war eben Griechenland. Das endlose Auf und Ab: erinnert, wiedererzählt und aufgezeichnet, nicht leidenschaftslos, sondern inbrünstig, auf dass die Töchter aus den Fehlern der Mütter lernen und die Söhne die Väter rächen mochten. Rache um Rache, weiter und weiter zurück, bis vor die Erfindung der Geschichte selbst.
Ein Schild wies zum Hauptstrand. Eberhard fuhr weiter geradeaus, nun unmittelbar gefolgt von Ben. Eleschen drehte sich zu ihnen um, deutete mit melodramatischer Geste auf Max und formte die Lippen in komischer Verzweiflung zu einem stummen Hilfeschrei.
Rund um die Abzweigung war ein Dorf entstanden, mit einer Reihe windschiefer Mini-Märkte, vor denen hier und da trotz der frühen Jahreszeit Ausländer standen, Frauen mit blond gebleichten Ponys und kahl werdende Männer in Bermudashorts, die Hüte und Sonnenbrillen anprobierten, sich in Handspiegeln bewunderten, die Köpfe schief gelegt wie Papageien in Käfigen. Europop drang von Hotelterrassen an der Uferseite der Straße. Eine Handvoll jüngerer Touristen wartete an einer Bushaltestelle, die Männer mit geröteten Nacken, ein Kleinkind schrie oder schrie vor Lachen, das ließ sich im Vorbeifahren schlecht sagen.
Natsuko war eingeschlafen, die Wange auf den Handrücken gestützt, elegant und begehrenswert wie eine junge Frau in einem präraffaelitischen Gemälde. Eberhard gab Gas. Das Dorf verlief sich und war dann ganz zu Ende.
Ein Fluss. Brachliegende Felder. Ein einsames Haus, bewacht von einer Kakteenreihe in verrosteten Feta-Dosen. Eine Kapelle und eine Autoverschrottung, ein Mann lief von der einen zur anderen, einen armlangen Wagenheber auf der Schulter. Dann bogen sie auf eine unbeschilderte Staubpiste ab, die sich zwischen ehemaligen Anbauflächen dahinschlängelte, der Blick nach vorn stets von Eukalyptus oder Kalmus, Lorbeerbäumen, Olivenhainen, blühenden Zweigen gefiltert, durch das offene Fenster der Geruch von Salz und Jod. Und dann eine Felswand, dunkel und grimmig im Gegenlicht, das Meer zu ihren Füßen funkelnd und glitzernd, der Strand korallenweiß und weit, ein schier atemberaubender Halbkreis, und Eleschen, schon aus dem Auto heraus, kickte ihre Schuhe weg und rannte los, johlte und kreischte, rannte und rannte.
Später, gesättigt von Sonne und Meer, erklommen sie die südliche Landzunge, Natsuko, Sylvia, Eberhard und Ben pflügten sich hügelan durch die Dünen, die Knöchel zerkratzt von Stechginster, umsummt von behäbigen schwarzen Holzbienen, die früher oder später ins Dickicht aus Meeresdisteln und Thymian abdrehten.
Unterhalb der Kuppe machten sie Rast im Schutz eines Höhleneingangs und sahen zum Strand hinunter. Die anderen waren liliputanerklein, Eleschen eine träge Sonnengöttin. Jason rauchte im Schatten, Max las Zeitung, bolzengerade wie ein Yogalehrer.
»Schaut sie euch an«, sagte Eberhard. »Sonnen sich in ihrem Ruhm. Die Eidechse, die Katze und der Hai.«
Er trug einen alten Panamahut, dessen feines Geflecht sich an der Krempe aufzulösen begann und mit dem er ganz anders aussah als sonst. Als er den Wagen absperrte und dann in der Brandung stand, die Hosenbeine über die dürren Waden hochgerollt, hatte er fehl am Platz gewirkt, ein junger Bankangestellter am Strand, der zimperlich die Zehen ins Wasser hält. Mit dem Panamahut erschien er lässiger, weniger bieder, weniger vertrauenswürdig. Insgesamt gefährlicher.
Er stützte sich auf Bens Schulter, schüttelte sich den Sand aus den Schuhen und wischte sich mit großer Geste die Hände sauber.
»Wer ist der Hai?«, fragte Natsuko, und Eberhard grinste.
»Ich würde sagen, sie haben alle ihre Anwandlungen. Gehen wir weiter?«
»Wohin weiter?«, fragte Ben, aber die anderen waren schon voraus, alle waren sie schneller als er und kamen dabei kaum aus der Puste, Natsuko flink und wendig, Eberhard drahtig in raschem Trab. Sylvia tollte durchs Gestrüpp.
Bergab Richtung Süden schob die Landzunge sich zwischen sie und das offene Meer. Landeinwärts schnitt eine Süßwasserlagune sie von der Welt dahinter ab; ihre sandigen Ränder waren schwärzlich
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