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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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noch, von ihrer merkwürdigen Art, von ihrer aller merkwürdigen Art.
    »Was meinst du?«
    »Navarino.«
    »Tatsächlich?«
    Sie lächelte ihn über die Schulter hinweg an. »Aber ja! Findest du nicht?«
    »Ich finde, Wasser ist ein hübscher Gedanke. Und Mittagessen. Ich glaube nicht, dass Navarino …«
    »Es ist der Beginn der neuen griechischen Freiheit. Das Ende der Tyrannei.«
    »Tyrannei ist wohl etwas übertrieben. Ich bezweifle, ob die Osmanen das so gesehen haben.«
    »Kein Europa ohne Griechenland.«
    »Schon, aber …«
    Er tat einen weiteren Schritt auf sie zu, zwinkerte sich Schweiß aus den Augen, machte sich auf eine Auseinandersetzung gefasst und spürte, wie das Geröll unter seinen Füßen nachgab. Ihm blieb die Luft weg, bevor er begriff, dass er ausgeglitten war; der Schmerz folgte unmittelbar auf den Aufprall, seine Rippen knirschten unter dem Druck. Und dann fiel er, nicht auf einen Schlag den ganzen Hang hinunter, vielmehr rutschte er Stück um Stück ab, in groteskem Zeitlupentempo rückwärts.
    Seine Hände suchten verzweifelt nach Halt. Warmer Kalkstein an seiner Wange. Er klebte eingespreizt an einer sonnigen Felswand. Das Ganze war fast schon komisch – bis er einen Fuß ins Leere baumeln spürte und unter sich den Felsabbruch sah; Prunkwinden rankten sich in atemberaubenden blauen Girlanden von dem Überhang hinab, und tiefer unten, viel zu tief unten war zwischen Zypressen ein gruseliges Trichternetz gesponnen, das nur auf ihn zu warten schien.
    »Schau nicht nach unten.«
    Er blickte hoch. Natsuko war eine Armlänge entfernt, sie hatte hochrote Wangen und sprach im Flüsterton, als habe sie Angst, ihn wegzupusten. Er stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen einen Fluch aus.
    »Schscht. Kannst du hochklettern?«
    »Wie denn? Wenn ich das könnte …«
    »Ich reiche bis zu dir hin. Glaube ich jedenfalls. Warte …«
    »Mach keinen Blödsinn. Hol Eberhard!«
    »Der ist zu weit weg. Ich lass dich hier nicht allein. Nimm meine Hand.«
    Er griff danach, geriet ins Rutschen, spürte, wie sie ihn am Handgelenk erwischte. Ihre Finger waren so dünn wie Hühnerknöchelchen.
    »Hilfst du ein bisschen mit? Ich schaff das nicht alleine«, sagte sie, endlich auch außer Atem; er legte den Kopf in den Nacken und brüllte einen weiteren Fluch heraus. Eberhards Stimme antwortete von irgendwo, weit weg, fragend; und dann fing Natsuko an zu lachen, es blubberte aus ihr heraus, ein vergnügtes Glucksen, für das er sie gern geschüttelt oder geküsst hätte.
    »Ben!«
    »Was ist?«
    »Willst du abstürzen?«
    »Was ist das denn für eine saublöde Frage!«
    »Vertraust du mir nicht?«
    Er blickte ihr in die Augen. Sah wieder, dass sie nicht schwarz waren, sondern blutrot. Die Sonne drang tief in sie ein, durchfurchte die dunkle Iris mit mattem Ocker.
    »Okay.«
    »Glaubst du an mich?«
    »Ja! Ja, ich glaube an dich.«
    Ein großes Gewicht hob sich von ihm. Er stemmte sich mit Händen und Füßen in die Felswand ein, und Natsuko begann zu ziehen. Sie war viel stärker, als er gedacht hatte, und dabei kannte er sie doch so gut. Jetzt kam es ihm vor, als kennte er sie praktisch gar nicht. Mit starrer, verzerrter Miene, immer noch grinsend, hievte sie ihn zu sich herauf, in ihre Arme.
     
Danach drehte sich ein paar Stunden lang – wonnige Stunden für ihn, was er allerdings nie zugegeben hätte – alles nur um ihn, er wurde umsorgt wie ein Kind. Eleschen und Natsuko bereiteten ihm ein Krankenlager in den Dünen oberhalb des Strands, ein weiches Nest aus Sand und Handtüchern; Jason gab Geschichten von verheerenden Unfällen zum Besten, selbst Max hockte sich neben ihn, desinfizierte seine Schürfwunden mit einer Tinktur aus dem Erste-Hilfe-Kasten von Eberhards Wagen und untersuchte seine Rippen auf mögliche Brüche. Doch Ben fehlte nichts Ernsthaftes; irgendwann schlief er ein und fand beim Aufwachen nur Natsuko vor, die warm und lebendig neben ihm lag.
    »Yasashii, ne.«
    Es klang, als lächle sie dabei.
    »Was heißt das?«
    »Du sollst doch schlafen.«
    »Du hast mich aufgeweckt.«
    »Ich dachte, du stürzt ab.«
    »Bin ich aber nicht. Du hast mich zu fassen gekriegt. Und, was heißt das nun?«
    »Es heißt, dass du ein weiches Herz hast.«
    »Du nicht?«
    Ihr Kopf lag auf seiner Brust. Er spürte, wie sich ihr Gesicht bewegte, ihre Wimpern ihn kitzelten. Der Sand unter ihm war noch warm.
    »Nein.«
    »Nein? Was für ein Herz hast du denn dann?«
    Aber er schlief schon fast wieder, und die Antwort

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