Verborgen
Anbetracht der Verhältnisse. Wir haben immer miteinander geplaudert. Aber leider ist ja alles den Bach runter. Max meint, wir müssen ans nächste Mal denken. Die müssen wissen, dass wir nicht spaßen. Das muss rüberkommen, laut und deutlich. Was soll denn das werden?«
Er versuchte aufzustehen. Eines seiner Augen war zugeschwollen, und als er sich an den Schreibtisch lehnen wollte, verschätzte er sich und wäre beinahe hingefallen. Als er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, kam Eleschen und stellte ein Tablett mit drei Teegläsern ab.
»Wisst ihr was? Ich hab grad beim Ausräumen den Zucker im Gefrierfach gefunden. Ist das nicht abartig? Er lebt also doch nicht nur von der Luft. Nimmst du Zucker, Ben?«
Sie sah ihn an, als sei nichts passiert. Seine Stimme klang, als käme sie von einem unsichtbaren, ausnehmend höflichen Fremden.
»Nein, danke. Ich glaube, ich geh jetzt besser nach Hause.«
»Du kannst hier schlafen. Die Bettwäsche ist noch nicht eingepackt. Das Bett ist gemacht.«
Er wandte sich ab. Hinter sich hörte er Jason mit der Zigarette im Mund lachen.
»Psst«, sagte Eleschen leise. »Du solltest ihn aufhalten.«
Ausatmen. Er roch Rauch. »Heute findet er niemanden, der ihm helfen könnte. Außerdem gibt’s da nicht mehr viel aufzuhalten«, sagte Jason. »Und bis er da ist, gibt’s auch nicht mehr viel zu finden.«
Er ging zur Tür.
Vor dem Hotel musste er sich auf eine Bank setzen. Der Junge mit den angeklatschten Haaren wässerte lustlos die Straßenbäume, doch als er Ben erblickte, ließ er den Schlauch fallen und ging hinein.
Es fuhren keine Taxis. Er sah eines den Boulevard herunterkommen und rappelte sich auf, um ihm zu winken, aber als es näher kam, sah er, dass es voller Kinder und Kleinkinder, alter Männer und alter Frauen war, die einander auf dem Schoß und auf den Knien saßen, eine ganze Dynastie auf dem Weg von einer Feier zu einer anderen, und der Fahrer machte ein finsteres Gesicht und beschleunigte Richtung Stadtplatz.
Er setzte sich wieder hin, und da kam Kreuzwort aus dem Hotel. Sie hatte einen Schwamm und eine Schüssel, doch als sie ihn sah, stellte sie beides neben ihn auf die Bank und blieb vor ihm stehen, die Arme in die Hüften gestemmt.
»Ich brauche Hilfe.«
»Ich verstehe Sie nicht. Was sagen Sie?«
Er leckte sich die Lippen und versuchte es noch einmal. »Ich muss nach Therapne.«
»Wohin? Sie müssen ins Krankenhaus, so viel steht fest.«
»Nein, noch nicht. Fahren Sie mich hin?«
»Es ist Ostern. Schlimm genug, dass ich überhaupt arbeiten muss.«
Er zog Geld hervor, zerriss aus Versehen einen Schein. »Tut mir leid. Auf meinem Zimmer hab ich noch mehr. Wenn’s nicht genug ist, können Sie es von meiner Karte abbuchen …«
»Was ist Ihnen passiert?«
Er schaute zu ihr hoch. Das Licht war hinter ihr und ließ ihr hennagefärbtes Haar aufleuchten wie das von Eleschen. »Bitte helfen Sie mir.«
Sie breitete die Arme aus. »Spiridon«, rief sie, ohne sich umzudrehen, und Ben sah den Jungen, der untätig auf der Treppe saß. Kreuzwort kramte in ihrer Handtasche und hielt einen Schlüsselbund hoch. Der Junge nahm ihn und rannte davon.
Der Wagen, in dem er dann vorfuhr, war riesig, stinkvornehm und schwarz mit türkisgrünen Polstern. Kreuzwort ließ Spiridon zwei Handtücher aus der Hotelwäscherei holen und hängte sie über den Sitz. »Nicht bluten«, sagte sie trotzdem, als Ben einstieg, und dann: »Sagen Sie mir noch mal, wo Sie so dringend hin müssen?«
»Therapne.«
»Zum Menelaion?«
»Ja«, sagte er, aber sie fuhren bereits, und durch die Beschleunigung wurde sein Kopf gegen die Handtücher gedrückt. Sie waren noch warm. Sie rochen gut, wie frisches Brot. Er dachte an Metamorphosis.
»Sie arbeiten hier«, sagte Kreuzwort nach einer Weile, »mit der Amerikanerin?«
»Ja.«
»Nettes Mädchen.«
»Ja, ist sie.«
»Haben Sie vielleicht was vergessen?«
Er nickte, obwohl sie ihn natürlich gar nicht ansah. »Ja, ich hab tatsächlich da oben was vergessen.«
Dass er geschlafen hatte, merkte er erst, als er wieder aufwachte. Sie fuhren schon bergauf, und der Wagen schaukelte, als Kreuzwort Richtung Therapne abbog. Er sah im Rückspiegel, wie sich ihre Mandelaugen verengten.
»Schöne Ostern.«
»Es tut mir leid«, sagte er, aber es war nur ein Krächzen, und er fragte sich, ob sie ihn verstanden hatte.
»Aha, wieder aufgewacht?«
»Ich zahle für den Wagen.«
»Behalten Sie Ihr Geld. Vor wem laufen Sie davon?«
»Ich
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