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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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hielt ein Gewehr in den Händen.
    Er drehte sich um, legte an und drückte ab.
     
Nach dem Schuss setzte der Chor wieder ein. Das Zirpen der Zikaden, zögernd zuerst, noch horchend, doch lauter nach der plötzlichen Stille. Und auch die Sonne irgendwie lauter, unbarmherziger – ein wuchtiger Paian von Licht, so gewaltsam, dass er taub davon wurde. Das heiße Pochen seines Bluts füllte die glatte Höhlung seines Schädels mit Zittern und Zagen, vertrieb alle Gedanken.
    Die Berge hallten wider von vielfältigen Echos. Eberhard knickte das Gewehr. Legte es sich mit dem Schaft über einen Arm, als hätten die beiden Läufe kein Gewicht. Er spähte ins Unterholz und legte den Kopf schräg, als lauschte auch er.
    Lächelnd wandte er sich ab und ging auf Ben zu. Und mit ihm, nach ihm, kam und blieb der Geruch von Thymian und Schießpulver.
    »So«, sagte er beiläufig und blickte noch einmal zur Höhle zurück.
    »Was hast du getan? Um Himmels willen, was hast du getan?«
    »Ich habe getan, was getan werden musste. Und jetzt gehörst du uns, Ben. Jetzt bist du einer von uns.«
     

XVI
     
    Die sorgsame Anwendung von Terror
     
    Er drehte sich um und ging los. Als er zehn Schritte gemacht hatte, rief Eberhard seinen Namen, enttäuscht und friedfertig, und da rannte er Hals über Kopf los.
    Er rechnete damit, dass er hier und jetzt sterben würde. Bis ans Ende des Plateaus hörte er Eberhard lachen. Er lachte wie jemand, der sich in einem verdunkelten Zimmer allein eine gute Komödie anschaut: nicht haltlos, sondern krampfhaft und stoßweise, wobei jeder Lacher alsbald wieder in ein begieriges Schweigen mündete. Jedes Mal, wenn es still wurde, wartete er darauf, den Schuss zu hören und die Kugel zu spüren.
    Als der Rand des Steilabfalls in Sicht kam, stolperte er blindlings durchs Unterholz, wurde auf dem abschüssigen Gelände immer schneller und hatte, wenn er nicht über die Abbruchkante stürzen wollte, nur noch eine Möglichkeit: Er musste sich vorher fallen lassen.
    Er rollte in dichtes Salbeigestrüpp. Von den Felswänden hallte etwas wider, ein trockener Knall. Er schloss die Augen und wartete auf den nächsten, und dann begriff er, dass Eberhard klatschte.
    Am Klettereinstieg schaute er zum ersten Mal zurück. Er erwartete, Eberhard immer noch dort stehen zu sehen, doch Sauer war in die Hocke gegangen und sah ihm gar nicht mehr nach, sondern machte sich an irgendetwas am Boden zu schaffen. Schultern und Arme bewegten sich wie bei jemandem, der sich die Hände wäscht.
    Anfangs kletterte er stetig hinab, konzentrierte sich so, dass er alles andere vergaß. Dann fiel ihm Eberhard wieder ein, und der Drang, erneut zurückzuschauen, wurde so stark, dass er einen Griff verfehlte und um ein Haar abgestürzt wäre. Als er die Bäume erreichte, sah er, aus dem Augenwinkel, doch völlig klar, einen alten Mann mit einem langen weißen Kopf, der lautlos den Berg herab auf ihn zugekrochen kam, und schaute entsetzt zurück; aber es war nur ein Raubvogel, ein großes schwarzes Tier mit weißem Hals, der zwischen ihm und den Höhlen seine Kreise zog.
    Als er bei der Ausgrabung anlangte, keuchte er, dass es ihm schier die Brust sprengte. Der silberne Wagen stand noch da. Die Türen waren abgeschlossen. Er suchte sich unter den Zypressen einen dürren Ast und kroch damit in den Schatten des Autos. Das dicke Ende des Astes war scharf, und er stach damit auf einen Reifen ein, hatte aber nicht genug Kraft dafür. In hoffnungsloser Wut schlug er die Windschutzscheibe ein, ließ den Ast in dem Loch stecken und schaute sich noch einmal um, während er den Weg nach unten einschlug.
    Er erreichte die Straße am Fluss und trottete nordwärts. Er roch noch immer die Berge in seinen Kleidern. Terebinthe und Thymian. Nur das Schießpulver dachte er sich dazu.
    Die Straße war anfangs so ausgestorben, dass er zu träumen glaubte, als er den Motor hörte. Fast zu spät erkannte er, dass es von hinten kam, als das Geräusch von den Eukalypten am Fluss reflektiert wurde, und drehte sich erschrocken um.
    Es war ein Traktor. Er streckte die Hand aus. Ein vierschrötiger Mann mit einer flachen Mütze und in Hemdsärmeln saß auf dem Traktor, der einen Pritschenanhänger zog. Er überholte Ben ganz langsam, nickte, ohne ihn anzuschauen, würdevoll wie ein Reiter, und fuhr unerschütterlich weiter.
    Er ließ seine Hand sinken und ging weiter. Der Straßenrand war überwuchert. Seine Füße bewegten sich durch die vertrockneten Frühlingsblumen.

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