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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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laufe nicht davon.«
    »Natürlich tun Sie das. Nachher fahren wir ins Krankenhaus. Und dann zur Polizei.«
    Sie schaute ihn von der Seite an. Ihre Miene war verständnisvoll, aber unergründlich, wie die eines Kneipenwirts, der nach der Sperrstunde noch ausschenken soll.
    »So eine Prügelei! Zu Ostern. Wer war das?«
    »Meine Freunde.«
    »Schöne Freunde. Also, wir sind da. Was haben Sie vergessen? «
    Ein silbernes Auto stand unter den Zypressen.
    »Es ist nicht hier.«
    »Sie machen Witze, oder?«
    »Tut mir leid. Ich musste hier hinauffahren.«
    »Sie mussten. Allmächtiger. Und was ist mit mir? Schauen Sie sich das an, hier ist doch nichts. Nur Ruinen. Alles umsonst. Jetzt fahren wir zurück.«
    Er öffnete die Tür, als der Wagen schon anfuhr. Kreuzwort drehte sich zu ihm um und zischte: »Wenn Sie jetzt aussteigen, warte ich nicht.«
    »Müssen Sie auch nicht. Ich danke Ihnen. Sie wissen gar nicht, was Sie mir für einen Gefallen getan haben. Ich weiß noch nicht einmal, wie Sie heißen.«
    Er stieg aus. Das Fenster ging herunter. Kreuzwort sah ihn finster an. »Ich heiße Glykeria.«
    »Ich danke Ihnen sehr, Glykeria.«
    »Sie sind verrückt. Steigen Sie wieder ein. Wir müssen ins Krankenhaus…«
    Er ging los. Noch bis er hinter dem Nordhügel war, hörte er sie rufen. Dann das Motorengeräusch, und schließlich die Stille der Hügel, die gar keine Stille war, sondern ein Meer von weißem Rauschen und das endlose Schrillen der Zikaden ringsum.
    Er stürzte einmal, als er das Geröllfeld überquerte. Der Aufstieg wurde leichter, als er die Bäume erreicht hatte. Der Schmerz war nur in seinem Kopf, und er ließ nach, wenn er schneller ging. Als er bei dem Asphodelos-Feld angekommen war, bewegte er sich schon in einem unbeholfenen Laufschritt. Dann war er im Freien, hatte die Felsen vor sich, und die Sonne schien ihm ins Gesicht.
    Er begann zu klettern. Seine Gedanken kehrten immer wieder zu Jason und Eleschen zurück. Er versuchte, nicht mehr an sie zu denken. Zweimal meinte er, eine Gestalt zu sehen, einen dunklen Fleck auf den Hängen, einen oder anderthalb Kilometer weiter oben, doch wenn er wieder hinschaute, war da nichts.
    Er kam an die steile Felswand. Als er sie überwunden hatte, blieb er stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Er schaute auf seine Uhr. Es war noch nicht einmal eins: Er war nicht lange in Eberhards Wohnung gewesen. Als er seinen Aufstieg fortsetzte, pulsierte etwas in seinem Kopf, und einmal verspürte er einen heftigen Schmerz wie von einem Sonnenstich.
    Vor sich sah er die Höhlen. Er war noch hundert Meter von dem Felsblock entfernt, als ihm klar wurde, dass er sich ausruhen musste. Unmittelbar vor ihm wuchs eine Terebinthe. Er ging noch zehn Schritte und setzte sich unter ihre tiefen Äste. Er sah die Höhle, ihre Höhle; der Feigenbaum im Tageslicht staubig grün, der Eingang ein schräg aus ihm emporsteigender schwarz gezackter Spalt; ein negativer Blitz.
    Er bekam kaum Luft. Der Baumstamm drückte heiß gegen seinen nassen Rücken. Es roch nach Terpentin. Er senkte den Kopf und spürte, wie das Herzrasen allmählich nachließ. Er schloss die Augen gegen den Schmerz, und als er sie wieder öffnete, lag er auf der Seite, zusammengerollt, so wie Natsuko in dem Garten neben ihm gelegen hatte, und er schrie auf, weil er wusste, dass er erneut eingeschlafen war.
    Er kam mühsam auf die Beine. Als er bei dem Felsen war, bewegte sich der Feigenbaum wie von einem plötzlichen Windstoß. Eine Gestalt kroch darunter hervor. Er rief Eberhards Namen, aber im selben Moment sah er, dass der Mann nicht wie Eberhard aussah.
    Es war ein alter Mann. Er war hochgewachsen und gebückt. Sein Gesicht war ihm zugleich fremd und vertraut, länglich und kränklich, die Haut kalkweiß. Er sah aus wie ein Wesen, das noch nie die Sonne gesehen hatte. Über seiner Schulter hing eine dicke Taurolle. Er trug eine volle Umhängetasche und, in einer Scheide am Gürtel, ein Jagdmesser. Er lächelte zu Ben herab, und als Eberhards Name von der Felswand über ihnen widerhallte, nickte er, hob eine Hand zum Gruß und hielt sie sich dann vor den Mund.
    Der Feigenbaum bewegte sich immer noch. Die untersten Äste zitterten. Er hörte Kirons Stimme, noch mit dem Widerhall der Höhle, aber gedämpft durch das Unterholz, grollend, in einer zweifelnden Frage erhoben. Dann hockte sich der alte Mann hin, zog sein Gummigesicht ab und hob etwas vom Boden auf. Als er wieder aufstand, sah Ben, dass es doch Eberhard war, und er

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