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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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doch Ben verstand nichts, hörte nichts, sah nur, wie sich seine Zähne bewegten. Mit der einen Hand hielt Jason ihn am Schopf gepackt, die andere krachte auf ihn herab. Sie traf ihn immer und immer wieder, anfangs ganz schnell, dann langsamer, jeder Schlag schwer und sicher, wie von einem Handwerker, wie eine Schaufel, die sich in seinen Hals, seine Augen, sein Gesicht grub.
    Er erwachte vom Geläut von Ziegenglöckchen. Er lag noch in Eberhards Wohnzimmer auf dem Boden. Er drehte den Kopf zu dem Klang hin. Unter einem Stapel Korbstühle sah er Eleschens Hände und Beine. Der Morgenmantel umspielte ihre Waden. In den Händen hielt sie einen Besen. Die grünen Scherben des Wasserkrugs, die sie an die Wand mit den Packkisten fegte, klirrten und klingelten. Wie Glöckchen.
    Er ließ den Kopf nach hinten sinken. Die Decke des Wohnzimmers war in einem ungleichmäßigen Rosa gestrichen. Terrakotta. Zinnober. Seine Augen waren voller Tränen. Ihre salzige Wärme füllte die Höhlen. Er spürte, wie sie ihm über die Stirn in die Haare liefen. Er griff hinauf, um sie wegzuwischen, und als er die Hand wieder herunternahm, sah er, dass sie voller Blut war.
    Er wachte wieder auf. Etwas stupste ihn am Brustkorb, hartnäckig, wie ein Tier, und er dachte an die Schakale und den Hasen und zuckte zurück.
    »Er wird’s überleben«, sagte Jason. Seine Stimme klang komisch. Ben versuchte, zu ihm hinaufzuschauen, und merkte, dass er blind war.
    Die Musik spielte wieder. Er spürte den Luftzug von den Fenstern, roch Küchengerüche, bratendes Fleisch, Osterlamm. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Er würgte und rollte sich auf die Seite, öffnete den Mund, ließ es über seine Lippen laufen.
    Er sah Jasons nackte Füße. Von verkrustetem Blut waren seine Augen zu Schlitzen verengt. Er hob die Hand und versuchte es abzuwischen. Zweifacher Schmerz fuhr ihm in den Kopf, als wäre seine Hand voll scharfer Glasscherben, und er stöhnte und richtete sich mühsam auf.
    Sie hatten ihn in die Zimmermitte geschleift. Jason saß auf der Couch, hatte ein Geschirrtuch um den Kopf und hielt sich ein zweites an die Wange. Er beugte sich gerade vor und versuchte, sich eine neue Zigarette anzuzünden. Der Stummel hatte schon rosa Flecken. Schließlich hatte er Erfolg, lehnte sich zurück und sah Ben.
    »Nanu, was sieht mein entzündetes Auge? Jedenfalls sehen deine Augen ziemlich entzündet aus. Aber womöglich aus anderen Gründen. Hier.«
    Er warf ihm das Geschirrtuch zu. Es klatschte gegen Bens Hals und entfaltete sich feucht. Er zupfte daran, bis es abfiel.
    »Eleschen macht gerade Tee. Willst du auch eine Tasse?«
    Er schüttelte den Kopf. Die Couch quietschte. Er wich zurück, als Jasons Schatten über ihn fiel.
    »Das war nicht nett. Was du getan hast. Schau her, was du mit mir gemacht hast. Ich seh aus wie Lawrence von Scheiß-Arabien. Ich sollte dich umbringen, weißt du.«
    »Wo ist Eberhard?«
    »Außer Haus.«
    Er versuchte sich aufzusetzen. Der Schreibtisch war hinter ihm, und er rutschte hin. Er musste noch etwas anderes fragen, etwas, was er unbedingt wissen musste, aber er brauchte seine ganze Kraft, um sich zurückzulehnen. Die Worte entzogen sich ihm, glitschig wie Aale verschwanden sie im Dunkeln.
    »Was ist? Meinst du vielleicht, Eb wird dir helfen? Dass du dich da nicht mal täuschst! Mit dem hast du dich ja nie angelegt. Wenn er hier gewesen wäre, hätte er dich auseinandergenommen. Der hätte dir die Lichter ausgeblasen. Dir den Kopf abgerissen, Kumpel. Aber weißt du was? Ich bin richtig froh, dass du mir eins über den Schädel gezogen hast. Nein, ehrlich. Ich hab das schon von Anfang an tun wollen, seit du wie der verlorene Sohn bei uns aufgetaucht bist…«
    Er fand seine Sprache wieder. »Wo ist er?«
    »Nicht da. Sag ich doch.«
    »Er ist zur Höhle gegangen.«
    Die Augen fielen ihm zu. Als er sie wieder aufmachte, schaute Jason immer noch zu ihm herunter, den Kopf auf die Hand gestützt. Sein Lächeln war seltsam.
    »Er ist raufgegangen, stimmt’s?«
    »Und wenn?«
    »Darüber habt ihr abgestimmt.«
    »Und wenn?«
    »Er wird’s nicht tun.«
    »Er hat sich darum gerissen. Max wär sofort gegangen, aber Eb hat Nein gesagt. Er war fest entschlossen.«
    »Jason, das könnt ihr nicht machen.«
    »Wir müssen.«
    »Du bist kein schlechter Mensch.«
    »Wir müssen das zu Ende bringen. Nicht, dass wir es gern tun. Wir hatten es nicht vor. Ich hab ihn sogar gemocht. Die anderen nicht, aber ich fand ihn ganz in Ordnung, in

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