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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Der Traktor schien schon weit weg, als der Fahrer herunterschaltete, doch als er den Kopf hob, sah er, dass er ein paar Meter vor ihm rechts heranfuhr.
    Der Mann schaute auf ihn herab. Nichts in seiner Miene verriet Erstaunen über Bens ruiniertes Gesicht.
    »Frohe Ostern.«
    »Frohe Ostern«, sagte er; seine Stimme pfiff und sang, als wäre sein Brustkorb ein Käfig voller Vögel.
    »Ich fahre nur bis Afision.«
    Er kletterte schweigend auf den Anhänger. Der Mann bedeutete ihm, er solle sich festhalten, und schaute wieder nach vorn, während Ben sich auf den Rücken legte. Das Metall der Pritsche war glühend heiß. Der Fahrer legte den Gang ein, und der Motor heulte auf.
    Der Himmel bewegte sich unendlich langsam über ihm. Er sah den Hinterkopf des Fahrers. Sein Haar kam weiß wie Wolle unter seiner Mütze hervor. Als sie an dem Bildstock vorbeifuhren, nahm er die Mütze ab, bekreuzigte sich und setzte die Mütze wieder auf.
    Ein Fahrzeug näherte sich ihnen von hinten. Er schloss die Augen, als es überholte. Als er es endlich schaffte, sich aufzusetzen, war das Auto schon weit vor ihnen, so fern, dass er nicht genau erkennen konnte, ob es silbern war; aber er war sich fast sicher. Sauer, mit hoher Geschwindigkeit unterwegs nach Sparta.
    Er legte sich wieder hin. Er schauderte, aber nicht vor Kälte, und der Motor lullte ihn ein. Als er die Augen wieder aufschlug, drehte sich über ihm der Himmel. Sie hatten endlich das Dorf erreicht und fuhren die Straße hinauf. Er blieb liegen, bis der Traktor hielt.
    Sie standen vor der Taverne, in der sie am Morgen nach der Jagd zu sechst gefeiert hatten. Die Türen waren mit Läden verschlossen. Der Fahrer saß da und wartete, ohne zu ihm zurückzuschauen.
    Er stieg herunter und ging zum Fahrer vor. Der Motor lief noch, ein lautes Geräusch in der engen Straße. Der Fahrer beugte sich hinunter und brachte eine Flasche Wasser zum Vorschein.
    »Heißer Tag, um zu Fuß zu gehen«, sagte er, den Motorenlärm übertönend, und Ben nahm das Wasser entgegen. Er trank und bespritzte sich dabei das Hemd. Er wischte sich das Gesicht ab und wollte die Flasche zurückgeben. Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Danke. Ich hatte nicht vor, zu Fuß zu gehen.«
    »Verstehe.«
    »Ich brauche Hilfe«, sagte er, aber seine Stimme war zu leise, und der Mann sah ihn schon nicht mehr an, sondern schaute die Straße hinauf wie ein Pferd, das den heimatlichen Stall riecht. Der Traktor setzte sich zitternd in Bewegung.
    »Danke«, sagte Ben noch einmal, aber der Motor war zu laut, und der Mann schaute nicht mehr zurück.
    Seine Beine waren steif geworden; seine Knie fühlten sich weich und schwammig an. Er brauchte eine Ewigkeit bis hinunter zur Brücke. Gleich dahinter war ein Telefon, an der Landstraße, wo keine Laternen standen. Er hatte Geld in der Tasche, aber die Münzen fielen ihm durch die Finger, als er sie herausholte, und die Scheine flatterten in Richtung der Zigeunerruinen davon. Er stellte die Wasserflasche ab und klaubte die Münzen aus dem Staub.
    Er richtete sich auf, warf eine Münze ein, wählte. Natsuko meldete sich beim ersten Klingeln.
    »Ich bin’s.«
    »Was ist passiert?«
    »Wo warst du? Ich hab dich gesucht. Ich konnte dich nirgends finden …«
    »Aber jetzt bin ich hier. Ben, was ist los?«
    »Kiron ist tot.«
    »Hast du’s gesehen?«
    Sie flüsterte etwas in ihrer eigenen Sprache und fing an zu weinen. Er lehnte sich in den Schatten der Telefonhaube, schloss die Augen und wartete auf sie.
    »Ben, es tut mir ja so leid. Was sollen wir bloß machen?«
    »Wegfahren, alle beide.«
    »Jetzt?«
    »Ich brauche dich.«
    »Wo bist du?«
    »Bei der Brücke. An dem Telefon.«
    Pause. Flüsterstimmen in der Leitung. Die Geister toter Gespräche.
    »Natsuko?«
    »Ich komme. Es dauert ein bisschen. Ich muss ein paar Sachen wegbringen, zu …«
    »Beeil dich.«
    Er hängte ein und setzte sich. Die Straße war sehr ruhig. Die Flasche stand neben ihm auf dem Pflaster. Er hatte sie ausgetrunken und war fast wieder eingenickt, als das Fließheck-Auto vor ihm hielt. Er hob den Kopf, als sie um den Wagen herumkam, und natürlich fing sie wieder an zu weinen. Sie jammerte laut und küsste ihn auf Augen und Wangen, ganz sacht, Schmetterlingsküsse, und half ihm ins Auto.
    Sie fuhren nach Norden. Er sah Sparta im Rückspiegel, als es bergauf ging. Die Straßen wurden kleiner. Die Häuser waren weiß wie Salz.
    »Was haben sie mit dir gemacht?«
    »Ist doch egal.«
    »Die haben dich geschlagen

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