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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Tiefenrausch, und bei dreißig Metern fühlt man sich, als hätte man ein paar doppelte Wodka gekippt. Ich war doppelt so tief, und da drunten war es finster. Ich war vollkommen hinüber. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Ich dachte, ich würde mich in die Schläuche erbrechen. Ich hätte meinen Tauchgurt abmachen können, aber ich hatte Angst, ich würde zu schnell hochkommen. Ich hab mal gesehen, wie das einer gemacht hat, und dem ist das Blut aus den Ohren gelaufen. Ich hatte Glück, dass die mich gefunden haben. Jedenfalls hatte ich von da an genug davon, das war mein letzter Tauchgang … Und, was ist mit dir?«
    »Na, was wohl?«
    »Oh, der neue dünnhäutige verkaterte Ben. So gefällst du mir besser.«
    Spät dran, dachte er: Das war es, was mit dem Wetteransager nicht stimmte. Er hätte längst gewaschen und angezogen sein müssen.
    »Wo ist meine Uhr?«
    »Woher soll ich das wissen? Aber immer mit der Ruhe, wir haben noch… zehn Minuten. Shit. Natsuko ist immer superpünktlich. Aber das Bad gehört dir. Mea culpa schon mal vorweg. Komm schon, Kopf hoch, trink einen Kaffee. Schau, da ist eine saubere Tasse. Zieh dich an, ich wärm ihn dir auf.«
    Er fand seine Uhr in seinen Schuhen und streifte sie über. Er hatte von Natsuko geträumt, fiel ihm ein, obwohl er sich nur an ihr Gesicht erinnern konnte, sonst nichts. Die Pockennarbe an ihrer Schläfe. Ihre rehdunklen Augen, manchmal scheu, manchmal wild.
    »Meinst du, die Menschen entwickeln sich zu dem, wonach sie aussehen?«
    Aus dem Radio plärrte immer noch Musik. Im ersten Moment dachte er, Jason hätte ihn nicht gehört. Dann: »Nicht in der Art, an die du denkst.«
    »Woran denke ich denn?«
    »Du denkst an Eleschen, du Ferkel. Oder vielleicht nicht?«
    »Nein. Und wenn, dann schon gar nicht so.«
    »Lügner. Du bist genauso schlimm wie ich. Mit Eleschen ist es immer so. Wozu hat sich dann deine Frau entwickelt?«
    »Wir haben uns einfach auseinanderentwickelt.«
    »Mir kommen die Tränen. Hast du ein Foto von ihr?«
    »Nein.«
    »Eb hat gesagt, dass du das sagen würdest.«
    »Was? Was hat er sonst noch gesagt?«
    »Dass du dir nicht in die Karten schauen lässt. Was bei ihm als Kompliment zu verstehen ist, glaub mir, er mag ruhige Typen. Und dass du von deiner Gelehrsamkeit nicht viel Aufhebens machst, deine Sorgen aber wie Ketten trägst. Was immer das heißen soll. Aber ich weiß, womit du in Schwierigkeiten kommen könntest, merk dir das.«
    »Nämlich womit?«
    »Du bist leichtgläubig. Das weißt du auch. Und du bist ein klassischer Nympholeptiker.«
    »Was ist das?«
    »Von Nympholepsie: leidenschaftliches Verlangen nach dem Unerreichbaren.«
    »Passt eher zu dir.«
    »Nein, ich bin realistisch in meinen Leidenschaften. Hoppla!«
    »Was ist?«
    »Nicht wieder einschlafen. Red mit mir.«
    »Nur, wenn du dann aufhörst.«
    »Nichts da. Aber woher kommst du dann? Ich könnte wetten, aus Hampstead. Primrose Hill.«
    »Cricklewood«, sagte er, und Jason knipste den Rasierer aus und lachte glucksend. »Was gibt’s da zu lachen?«
    »Nichts. Ich hatte dich bloß falsch einsortiert. Weil du in Oxford Eberhard gekannt hast, dachte ich, du müsstest …«
    »Nein, eigentlich nicht.« Er rappelte sich wieder hoch und schüttelte die Bettdecken aus, weil er sein Hemd suchte. »Ich hab dir doch von meiner Familie erzählt.«
    »Das hat nichts zu sagen. Händler auf dem Markt sind heutzutage keine armen Leute mehr. Es kann einer Joghurt verkaufen und ein Nabob sein. Außerdem muss es ja nicht wahr sein. Die Leute erzählen die seltsamsten Sachen, wenn sie weit weg von zu Hause sind. Bei Fremden können sie sein, was immer sie wollen. Nicht dass wir uns noch fremd wären. Trotzdem, Eberhard auf Du und Du mit hoi polloi , ich weiß nicht. Ich hab am Anfang gedacht, du wärst einer von diesen Jungs von einer Privatschule und hättest halt den nach wie vor schicken Cockney-Akzent drauf.«
    Er trat mit den Schuhen in der Hand ans Fenster, entriegelte es und füllte seine Lunge mit Kiefernduft und Holzrauch. Auf dem Fensterbrett stand ein Blumentopf mit vier die Sonne anbetenden Marihuana-Pflänzchen. Der Himmel über den Bergen war klar, die letzten Sterne noch strahlend hell. Der Tag fing gut an.
    Auf der Thermopylon-Straße war ein Polizeiauto rechts rangefahren. Der Fahrer beugte sich zu einer alten Zigeunerin in einem Schaffellmantel hinaus. Sie wandte sich von ihm ab, versuchte, sich um den Wagen herumzudrücken. Ihr Gesicht war vor Angst oder

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