Verborgen
sich wieder ein, Max brüllte, und seine eigene Stimme war verlegen und schwächlich, als sei er in einen häuslichen Streit zwischen Freunden hineingezogen worden.
»Er braucht nicht zu sagen, warum. Von den anderen hat auch keiner …«
»Ben und Nat? Im Leben nicht. Ben und Sylvia vielleicht, wenn er Männchen macht und bettelt…«
»Ihr seid wie kleine Hunde, alle beide!«
»Also, hört mal, sorry, ich weiß natürlich gar nichts, aber ich finde, wir haben nichts zu verlieren. Ich meine, warum sollen wir sie nicht mitnehmen? Einfach um zu sehen, was sie kann? Wenn sie keine Angst vor den Gewehren hat, ist es doch vielleicht einen Versuch wert. Du bist Jäger, Max, du entscheidest, wenn wir vor Ort sind. Vielleicht kann sie ja eine Fährte verfolgen. Wenn sie zu nichts zu gebrauchen ist, lasst sie einfach im Auto. Nehmt Wasser und eine Decke mit für sie. Sie ist daran gewöhnt, allein zu sein. Sie wird keinen Ärger machen. Ich sehe nicht ein, warum das so ein Problem sein sollte.«
Max schaute finster, sein narbiges Gesicht wirkte böse. »Das Problem bist du! Wir hatten nie Meinungsverschiedenheiten, bis du gekommen bist …«
»Nein«, fiel Eberhard ihm ins Wort. Er drehte sich um, und zum ersten Mal seit Metamorphosis lächelte er Ben ohne Ironie oder Groll zu. »Das klingt doch alles ganz vernünftig. So gesehen ist es doch wirklich kein Problem. Meinst du nicht auch, Max?«
Er merkte, dass sie alle den Georgier ansahen, der mit verschränkten Armen dastand. Beklommenes Schweigen trat ein, bis er die Hände ausbreitete und sich dann auf die Schenkel schlug.
»Also gut. Zu viel Gerede. Wir verschwenden Zeit. Dann nehmt sie eben mit. Wenn sie uns in die Quere kommt, erschieße ich sie eigenhändig.«
»Sie ist ein guter Hund«, sagte Natsuko und stand auf, mit der grinsenden Sylvia auf den Armen. »Ihr werdet schon sehen.«
»Tja, das war’s dann. Wenn es sonst nichts mehr gibt. Max hat recht. Es ist schon spät. Wir können es uns nicht leisten, den Vollmond zu verpassen. Alles bereit zum Abmarsch?«
Die Nervosität machte sich bei jedem anders bemerkbar. Jason plapperte anfangs drauflos, stachelte auf dem Rücksitz Sylvia auf (Wer ist die große Jägerin? Wer ist der tolle Jagdhund?) und quengelte, sie sollten das Radio anmachen; er schmollte, als Natsuko den Kopf schüttelte, und von da an hörte man nichts mehr außer dem Hecheln des Hundes, bis sie, dem schwachroten Schein der Rücklichter des Volvos folgend, die Ausgrabung erreichten.
Sie parkten wie sonst auch, nebeneinander unter den Zypressen, als ob es ein Arbeitstag wäre. Sie zuckten alle drei zusammen, und der Hund blaffte kurz, als Max an die Scheibe klopfte, um ihnen zu sagen, sie sollten die Scheinwerfer ausmachen. Jason stieg aus, immer noch maulend. Sylvia folgte ihm, untersuchte die Autoreifen und schnupperte hinter Schatten her. Ben sah den beiden nach, fast ohne sie wahrzunehmen, denn er war ganz auf das Mädchen neben ihm konzentriert.
Therapne erschien, als ihre Augen sich anpassten. Der Vollmond stand hoch am Himmel. Die Bäume leuchteten nachtsilbern. Die Hütten, die Hügel und die gestuften Ruinen standen in stiller Monochromie.
»Ben?«, sagte sie, als wäre er womöglich nicht da, im Dunkeln verschwunden, und er griff nach ihrer Hand und fand sie.
»Hier.«
»Sieht seltsam aus. Wie ein alter Film.«
»Das ist nur das Mondlicht.«
»Bist du sicher?«
»Was sollte es sonst sein?«, und als sie lächelte, begriff er, dass sie nicht nervös vor Angst war, sondern freudig erregt.
»Vielleicht haben wir eine Reise in die Vergangenheit gemacht.«
»Das würde dir gefallen, stimmt’s?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil die Welt schlecht ist.«
»Die Welt war schon immer schlecht.«
»Nein. Am Anfang war sie besser. Dann ist sie alt geworden und verrottet.«
»Natsuko?«
Er beugte sich vor, als sie den Kopf drehte, und spürte, wie sie seinem Kuss entgegenkam. Spürte, wie sie zu schmelzen begann. Wie ihre Lippen sich öffneten, weich wurden. Als sie sich entzog, berührte sie ihren Mund, als hätte er sie dort zerquetscht.
»Noch nicht.«
»Wann?«
Sie zuckte die Achseln. »Noch nicht.«
»Erst, wenn ich einer von euch bin?«
»Nein«, sagte sie. »Pst. Dummkopf.«
»Wieso? Warum bin ich dumm?«
»Weil du nie einer von uns sein wirst.«
Sie küsste ihn noch einmal, bevor sie die Tür öffnete. Die anderen waren nicht mehr bei den Autos. Er wusste nicht, wohin sie gegangen waren, und wollte schon nach
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