Verborgen
den Heloten eine nächtliche Ausgehsperre auferlegt. Eine solche Maßnahme hätten die wenigen Spartaner nicht durchsetzen können, hätte es die Krypteia nicht gegeben. Ohne die Angst vor den Verborgenen hätten sich die Heloten einer solchen Beschränkung niemals unterworfen.
Das Ausgehverbot war durchaus sinnvoll. Wenn spartanische Heere in die Fremde zogen, ließen sie ihre Heimat im Schutz der Dunkelheit zurück. Die Verteidigung des Staates hing davon ab, dass die helotische Bevölkerung nie wusste, welche Streitmacht noch als Bollwerk gegen ihre zahlenmäßige Übermacht zurückblieb.
Wie sahen die Heloten die Verborgenen? Sie müssen von ihnen gewusst haben. Sie mussten von ihnen wissen, durften aber nie zu viel wissen. Nichts ist so furchterregend wie das Unbekannte.
Sie waren keine gebildeten Menschen. Dreizehn Generationen lang lebten sie ohne formale Schulbildung. Die Verborgenen müssen ihnen als übernatürlich erschienen sein. Ungeheuer im Dunkeln. Als Warnung für diejenigen, die daran dachten, zu weit zu wandern oder zu viel wissen zu wollen. Was hat das Lamm getötet, das gestern Abend von der Herde abirrte? Was bewegt sich dort in den Bäumen? Sprich den Namen nicht aus. Sprich nicht davon. Komm zurück, Liebster, komm wieder ins Haus.
Die stärksten und tüchtigsten von ihnen:
Die Tötungen selbst hatten drei Funktionen. Erstens erzeugten sie Angst; aber Sparta betrieb auch Eugenik unter seinen eigenen Bürgern, und seine Verborgenen sahen sicher auch ein eugenisches Element in ihrem Tun. Zweitens wurde also die Tötung eines starken, tüchtigen Heloten sicher als die Ausmerzung potenzieller Aufrührer gesehen. Und drittens als Mittel zur Schwächung der Helotenrasse insgesamt.
Die Verborgenen müssten auch dafür prädestiniert gewesen sein, die Aussetzung spartanischer Neugeborener zu übernehmen. Das Aussetzen missgebildeter Kinder war zwar in ganz Griechenland verbreitet, doch in Sparta wurde diese Praktik von Staats wegen überwacht und penibel durchgeführt. Ob ein Kind als Monster (teras) anzusehen war, entschied nicht der Vater, sondern der Ältestenrat. Das Aussetzen wurde auch als das Verbergen bezeichnet. Die Verborgenen waren noch nicht im heiratsfähigen Alter: Sie hatten noch keine eigenen Erfahrungen mit der Vaterschaft, und dass die Neugeborenen in den höheren Regionen des Taygetos oder des Parnon ausgesetzt wurden, lässt ebenfalls vermuten, dass die Verborgenen mit dieser Aufgabe betraut waren.
… Was bedeutete es, dass die Heloten Menschen waren? Aristoteles beschreibt, wie Sparta zu Beginn jedes neuen Jahres seinen Gefangenen den Krieg erklärte. Diese Erklärung war eben deshalb notwendig, weil die menschliche Natur der Heloten anerkannt wurde. Im Krieg zu töten war kein Verbrechen; das bedeutet aber natürlich nicht, dass solches Töten keine Konsequenzen hatte. Dass der Soldat kein Verbrechen begeht, bedeutet nicht, dass er unschuldig ist. Dass das Gesetz ihm Pardon gewährt, bedeutet nicht, dass er straflos davonkommt.
Die Verborgenen arbeiteten nicht allein. Die Terrorisierung nahm viele Formen an. Es gehörte zur Erziehung eines spartanischen Kindes, zuzusehen, wie ein Helot erniedrigt wurde, indem man ihn zwang, unvermischten Wein zu trinken. Zur Zeit des Niedergangs von Sparta mussten die Heloten Mützen aus Tierhäuten als Erkennungszeichen tragen. Zu anderen Zeiten steigerte sich die Unterdrückung zur Ausrottung. Thukydides berichtet von der Ermordung von zweitausend Heloten, die auf einen spartanischen Ruf zu den Waffen reagiert hatten. Die Episode findet sich auch bei Plutarch:
… dass diejenigen Heloten, die wegen ihrer Tapferkeit von den Spartanern ausgewählt worden waren, sich hätten bekränzen dürfen als freie Leute und rings die Tempel der Götter aufgesucht hätten, wenig später aber alle verschwunden wären, mehr als zweitausend, ohne dass weder sogleich noch später jemand sagen konnte, auf welche Weise sie eigentlich umgekommen wären.
XI
Ballerspiele
Nach und nach wurden die Nächte wärmer. Eine Woche lang schlief er schlecht, bei aufgerissenen Fenstern, immer wieder lag er stundenlang wach, horchte auf die Geräusche der Stadt – ein schlafloser Vogel, der in seinem Käfig im vierten Stock kreischte; ein Kommen und Gehen von Musik; ein Wolfsrudel von Nachtschwärmern – und schlief dann mit archäologischer Langsamkeit wieder ein, wobei er nicht zwischen zwei deutlich getrennten Zuständen wechselte, sondern
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