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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Wut verzerrt.
    »Herrlich draußen, oder? Ich liebe dieses Land. Du nicht?«
    »Doch.«
    »Das beste Land der Welt. Die Wiege der Zivilisation.«
    »Komm mal her, das musst du dir anschauen.«
    »Tu ich doch schon. Wen würdest du zuerst erschießen?«
    Er drehte sich um. Jason hatte ein Auge zugekniffen, seine Hand krümmte sich um einen Revolver, die beiden Finger des Laufs ruhten leicht auf Bens Schulter.
    »Nimm das Ding weg.«
    »Nein, im Ernst. Wenn du die Gelegenheit hättest? Die Zigeunerin oder den Polizisten?«
    Er schaute wieder aus dem Fenster. »Oder dich.«
    Jason tätschelte ihn. Seine Stimme entfernte sich. »Ich mag dein laterales Denken. Allerdings löst es keinerlei Probleme.«
    »Doch, nämlich dann, wenn es dich am Reden hindert. Was denn für Probleme?«
    »Die Sorgen und Nöte der Griechen. Das ist ein einziges Durcheinander da draußen.«
    »Ich sehe keinen, der dich um Hilfe bittet.«
    »Das liegt bloß daran, dass sie so stolz sind. Das ganze Land geht vor die Hunde. Irgendjemand muss da Ordnung reinbringen. «
    »Indem er Zigeuner erschießt.«
    »Nee, die sind okay, ich hab doch nur geblödelt. Jedenfalls würden die auf meiner Liste nicht ganz oben stehen.«
    »Die Glückspilze.«
    »Ich würde aber Ordnung reinbringen, wenn ich die Zeit und das Hirn dafür hätte. Da solltest du auch drüber nachdenken. Man muss was tun, um die Dinge am Laufen zu halten. Es ist Drecksarbeit, aber irgendjemand muss sie machen. Du solltest mit Max darüber reden, er ist der Mann mit den Ideen. Wenn ich mal alt bin, ziehe ich hierher, weißt du. Ich suche mir ein kleines Grundstück, mit einem Haus und ein paar Ölbäumen. Vielleicht die eine oder andere Ziege. Ziegen machen nicht so viel Arbeit.«
    »Da hast du aber neulich ganz anders geredet. Du hast Sparta ein Dreckloch genannt.«
    »Man wird doch noch mal lügen dürfen, oder? Das war vor einer Ewigkeit. Da hab ich noch nicht gewusst, ob ich dich leiden kann. Sparta ist nicht für jeden was. Für dich und mich: nicht für sie und ihn. Jetzt mach schon, zieh dir die Schuhe an.«
    »Bin doch schon dabei.«
    »Braves Bübchen – hier«, sagte Jason und reichte ihm den Kaffee, heiß und schwarz und unglaublich gut. »Trink, du siehst aus, als könntest du ihn gebrauchen. Hoffentlich kommst du bis heute Abend wieder auf die Beine.«
    »Was ist denn heute Abend?«, fragte er, und der Wetteransager lächelte und verschwand in einen Äther von Werbespots, während sich Jason neben ihn gegen das Fenster lehnte.
    »Heute Abend«, sagte er, »gehen wir auf die Jagd.«
     
An dem Morgen kamen die Ziegen herab. Es waren hübsche Geschöpfe, freundlich und lammfromm, neugierig wie Touristen, und ihre vertrauten Glöckchen läuteten, während sie zwischen den Gruben hin und her liefen und klagend ihre Stimmen erhoben, als Chrystos sie von den Hütten vertrieb und sie wieder den Berg hinaufscheuchte.
    Er erinnerte sich an das eine Mal, als er wilde Ziegenböcke gesehen hatte. Das war auf Ithaka gewesen, er selbst war noch ein Kind. Sie waren durch die Berge gefahren, als sich plötzlich die Bäume über ihnen aufgetan hatten. Zwei Minotauren waren krachend die steile Böschung auf die Straße herabgekommen. Sein Vater hatte geflucht und mit voller Kraft gebremst, aber die Böcke hatten keine Notiz von ihnen genommen. Der Wagen und seine blassen Insassen waren für sie nur Gespenster. Nichts war ihnen wichtig gewesen außer sie selbst.
    Ben hatte sie als massige Tiere in Erinnerung, so groß wie Pferde oder Stiere. Ihr Fell hing in dicken Vorhängen in pissgelbem Weiß, dreckigem Schwarz und Rostrot an ihnen herab. Der eine war wieder den Abhang hinaufgestiegen, während der andere sich noch mühsam aufrappelte; und dann waren sie aufeinander losgegangen, und der Zusammenprall ihrer Hörner hatte geklungen wie splitternde Baumstämme. Zehn-, zwölfmal waren sie zusammengekracht, hatten sich verhakt und miteinander gerungen, und während die Mercers im Auto saßen und zuschauten, die Fenster aus Angst alle hochgekurbelt, hatte sich der Geruch der Tiere trotzdem im Wageninneren ausgebreitet wie Gas, unausweichlich, unmissverständlich in seiner Intensität und auch in seiner Doppelbedeutung so klar wie eine im Zorn erhobene Stimme. Der beißende, bestialische Bocksgestank. Die erhabene Größe ihrer Gewalttätigkeit.
    Vier von ihnen arbeiteten bei der Osthalde, wo Eberhard auf einen Schatz von Austernschalen und die in tausend Scherben zerborstenen Überreste zahlloser

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