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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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es mehr, tatsächlich war es weniger – und schon hatte er sie im Stich gelassen.
    Eine Zeit lang stand er unbeweglich da und bemühte sich, die anderen auszumachen. Er hörte nichts als Bäume, das Säuseln des Windes, das Galgenknarren von Ästen und Wurzeln. Es war, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Als seien sie weitergezogen an einen Ort, der ihm verschlossen war, wie Kinder in einer alten Geschichte, die den lahmen Jungen zurücklassen.
    Es war ihm kalt im Gesicht. Er wischte sich die Wangen ab und merkte, dass er geweint hatte; vor Scham zuckte er zusammen, als hätte er sich eingenässt.
    Er überlegte, ob er zurückgehen sollte. Halb und halb wollte er es. Sich nicht zu verlaufen auf der Suche nach ihnen, sondern sich damit abzufinden, dass er nicht war, was er sein wollte. Es hinter sich zu bringen und sein Scheitern zu vollenden. Doch dann dachte er, dass sie vorausgelaufen waren, dass da ein einfaches Zeichen gewesen war, das er übersehen hatte, und dass sie immer noch wollten, dass er nachkam. Dass sie, so wie er sie brauchte, auch ihn immer noch brauchen würden.
    Er hob seine Taschenlampe, suchte die Bäume ab, machte sie dann aus und ging weiter. Seine Hände zitterten. Mit der Linken umklammerte er den glatten Schaft des Gewehrs, den anderen Arm hielt er abgewinkelt auf Kopfhöhe vor sich, als Schutz gegen den Stechginster, der überall dort wuchs, wo die Bäume sich nicht behaupten konnten. Zweimal stürzte er, und beim zweiten Mal stieß er mit dem Knie gegen das Gewehr, und die Läufe bohrten sich ihm in den Bauch. Dann lichtete sich der Wald, der Mond schien heller, und als er die letzten Kiefern hinter sich ließ, befand er sich auf einer Lichtung, wo es gebrannt hatte, und auf der anderen Seite stand der Schakal und schaute zu ihm her.
    Die Nacht war so hell geworden, dass er alles in Farbe sah. Die Lichtung war ein geschwärztes Feld, die Bäume an ihren Rändern verkohlt, als seien sie vom Blitz getroffen worden und das Feuer hätte sich von der Einschlagstelle nur ein Stück weiter ausgebreitet. Der Schakal war im Gegensatz dazu hell. Etwas lag tot vor seinen Füßen, eine glitschige Masse aus Fell und Eingeweiden. Der Schakal hatte davon gefressen; seine Schnauze war noch dunkel und nass. Für Ben sah er aus wie ein Wolf, aber kleiner, lang gestreckt und muskulös: eine geschmeidige Kreatur, für Geschwindigkeit gebaut. Sein Fell war altgolden und schwarz, mit einem weißen Latz auf der Brust, wie Milch in dunklem Honig. Seine langen Ohren waren aufgestellt. Seine Augen glommen gelblich weiß. Sein Gesicht war unheimlich, teuflisch, sein Maul in einem groben Lächeln erstarrt.
    Seine Kopfhaut schmerzte. Die Haare standen ihm zu Berge.
    Erst als das Tier sich bewegte, wurde ihm klar, dass es ihn doch nicht gesehen, ihn nur auf andere, weniger präzise Art wahrgenommen hatte. Es entfernte sich in elegantem, raschem Trab, unter Zurücklassung der Beute, und hielt einmal inne, um zu wittern. Es lief nicht auf ihn zu oder von ihm weg, sondern in südlicher Richtung, parallel zu den Hügeln. Am Waldrand blieb es an einer geschwärzten Felsnase stehen, hob ein Bein und gähnte, genau wie Eleschens Hund es getan hatte. Und als er an den Hund dachte, fiel ihm auch das Gewehr ein.
    Er legte an und drückte im selben Moment ab. Der Abzug gab kaum ein Geräusch von sich, nur ein ersticktes Klicken, aber noch während ihm dämmerte, dass er die Waffe nicht entsichert hatte, blieb der Schakal stehen, das Bein weiter gehoben, posierte so im Rampenlicht des Mondes und schaute wieder zu ihm her, das Gesicht zugleich verschlagen und unschuldig.
    Die Bäume rissen auf. Jemand – Eleschen, weißhaarig – brach hervor, mit ihr der Jagdhund, nicht mehr stumm, sondern laut bellend – ein anarchisches, lang gezogenes Heulen. Und rings um die beiden erschienen andere Gestalten, wilde, ins Licht taumelnde Wesen.
    Der Schakal erstarrte. Einen halben Herzschlag lang dachte Ben, er würde mitten durch die Meute der Jäger hindurch flüchten. Dann krachte ein Schuss, und der Schakal machte kehrt, und sein Maul verzog sich zu einem Grinsen. Flink und geduckt kam er auf ihn zugelaufen. Als er näher kam, hörte er ihn knurren. Seine Augen wirkten nicht verängstigt, sondern wild, so als wollte er ihn zur Strecke bringen. Als dächte er, der Mensch würde vor ihm fliehen, der Jäger zur Beute geworden, ein Tier wie jedes andere, das gejagt werden musste, bis es fiel.
    Das Gewehr lag locker in seinen Händen. Er

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