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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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schon okay. Die Spartaner haben auch mit Hunden gejagt. Mit Hunden, Netzen und Speeren. «
    »Und, ist es das, was wir hier machen wollen? Spartaner sein?«
    »Na ja, es gibt Schlechteres.«
    Wieder trat Stille ein. Eberhard schwieg noch immer. Dann Natsukos weiche Stimme an seiner Schulter. »Findest du nicht auch, Ben?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Liebst du Griechenland?«
    »Ja, natürlich«, sagte er, und Eleschen lachte fast lautlos.
    »Dann ist es einfach. Es gäbe überhaupt kein Griechenland, wenn es keine Spartaner gegeben hätte. Griechenland braucht seine Helden, verstehst du?«
    »Das weiß ich«, setzte er an, ohne zu wissen, ob er ihr zustimmen sollte – er war nur halb überzeugt. In diesem Augenblick begann das Heulen.
    Es war ein fremdartiger Ruf, weder hündisch noch wölfisch. Es war anders als jedes Geräusch, das er je von einem Tier vernommen hatte. Es überlief ihn kalt. Das Klagen stieg und fiel wie eine Sirene, unheimlich und silbrig und unirdisch. Es schien von überallher zu kommen, von allen Seiten und von oben, als schrie der Mond selbst.
    Die Zeit machte einen Sprung. Er kam mühsam auf die Beine, und die anderen rings um ihn stießen Rufe aus und rappelten sich ebenfalls auf. Jason kam angelaufen, eine frisch angezündete Zigarette rollte ins knochentrockene Unterholz. Max drehte sich hierhin und dorthin, das Gesicht erwartungsvoll zum Licht emporgewandt. Und dann:
    »Der Hund! Der Hund!«
    Er schaute auf Sylvia hinab. Ihre Nackenhaare waren gesträubt, die Zähne gebleckt, die Lefzen bis auf das schwarzfleckige Zahnfleisch zurückgezogen. Sie war plötzlich ein ganz anderes Tier, größer und wilder, werwölfisch, vom Mond verwandelt. Sie gab nicht den geringsten Laut von sich, nicht nur keinen Antwortruf, sondern rein gar nichts, als wollte sie das im Dunkeln heulende Wesen nicht warnen. Ihr ganzer Körper – Augen, Ohren und Rumpf – war magnetisiert, auf den Nordpol der östlichen Hügel fixiert.
    Jemand legte ihm sein Gewehr in die Hände, und er lud es ganz automatisch. Neben ihm tat Max das Gleiche, kippte einen Lauf nach dem anderen, schob eine Patrone ein, tastete nach der nächsten. Und dann rannten sie los, alle zusammen, in einer unregelmäßigen Reihe.
    Wann hatten sie geplant, wie sie jagen würden? Sie hatten nichts beschlossen. Über dem Streit wegen der Hündin hatten sie diese höchst wichtige Frage vergessen. Und doch sah er, dass sie im Laufen – bergab, über das Geröll, durch den staubigen, duftenden Thymian – ihren ersten Schreck hinter sich ließen.
    Die ersten hundert Meter legten sie unbeholfen zurück, stolperten schwer atmend fast über die eigenen Füße, und es war schieres Glück, dass sie nicht in die Gruben fielen; doch dann bekamen sie neuen Auftrieb, und jeder fand seinen Rhythmus und seinen Platz. Eberhard und Max an der Spitze lenkten sie in einen flachen Kreisbogen, am weitesten voraus aber war Eleschen – ihre gestohlene Hündin führte sie über trockene Steine und sumpfig seufzenden Grund ins Dunkel der dichter stehenden Bäume.
    Mondlicht beschien sie flirrend durchs Geäst. Ben verlor Eberhard aus den Augen, dann Max. Links von sich sah er noch Jason, und rechts ein Stück weiter weg Natsuko, deren Gewehr viel zu lang für sie war; sie hielt es waagerecht nach vorn, wie ein Füsilier auf einem alten Schlachtengemälde.
    Wieder das Heulen, diesmal viel näher. Er blieb stehen – als Letzter von allen, wie er sogleich merkte. Er tastete nach der Taschenlampe an seinem Gürtel und sah nicht weit vor sich ein Armband im Mondschein aufblitzen. Die anderen gingen weiter, aber langsamer jetzt, und leiser, doch hier und da konnte er sie noch hören. Unter Schuhen knackende Zweige. Das Würfelklicken von Steinen. Das verstohlene Zischen von jemandem, der sich durchs Gebüsch zwängte.
    Hinterher wusste er nicht mehr zu sagen, warum er sie verloren hatte. Eben hatte er sie noch gehört, im nächsten Moment hatte er nur noch seine eigenen Tritte im Ohr. Er blieb stehen, tastete erneut nach der Taschenlampe, horchte eine ganze Weile, holte wieder Luft, schaltete die Lampe ein und richtete den Strahl nach unten.
    Jählings erhob sich rings um ihn der Wald, die Bäume und Felsen wurden größer, leuchteten auf. Das Unterholz war undurchdringlich, der Himmel außer Sicht. Ein Verlustgefühl packte ihn. Er war einer von ihnen gewesen, was immer Natsuko auch sagte. Wie lange hatte er sich als Teil von ihnen gefühlt – eine Minute? Dem Gefühl nach war

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