Verborgene Lust
Mutter, sondern auch ihr Bruder. Von Tina hatte sie so etwas erwartet, aber nicht von Mattia. Valentina hatte gedacht, dass sie ihm wirklich etwas bedeutete.
»Bitte, mach Mattia deshalb keine Vorwürfe«, sagte Phil. »Ich bin sicher, dass er es dir erzählen wollte. Offenbar hat deine Mutter aber darauf bestanden, dass du es nicht erfährst.«
»Warum zum Teufel nicht?«
»Ich verstehe nicht ganz, warum. Es war eine ziemlich verfahrene Situation. Wie gesagt, ich bin davon ausgegangen, dass du es weißt, Valentina.«
Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen.
»Wie verfahren kann die Situation gewesen sein, dass du mich einfach verlassen und nie wieder Kontakt zu mir aufgenommen hast? Okay, ich war nicht deine leibliche Tochter, aber das wusste ich nicht. Wie konntest du das tun?«
Philip wirkte ehrlich aufgebracht. »Ich wollte dich schützen. Du hast mir schrecklich gefehlt, Valentina«, antwortete er sanft.
Er stand auf und lief durch die Küche. »Ich dachte, es wäre das Beste für uns alle. Und da ich nicht dein leiblicher Vater war, hatte ich zudem keine Rechte. Deine Mutter und ich sind nie verheiratet gewesen.« Er drehte sich zu ihr um und rang die Hände, als wollte er Valentina jeden Augenblick um Verzeihung bitten. »Ich hatte dich so lieb, Valentina. Es war sehr hart wegzugehen, aber ich habe mich wirklich um dein Wohl gesorgt. Die Leute, die ich enttarnt habe, waren sehr, sehr gefährlich.«
»Warum? Wer waren sie?«
»Ich habe einen Artikel über einen Kopf der New Yorker Mafia geschrieben, Caruthers, und über seine Familie südlich von Neapel. Während meiner Recherchen bin ich auf entscheidende Hinweise gestoßen, die bewiesen, dass Mitglieder von Caruthers’ Familie in drei sehr grausame Morde in der Gegend von Neapel verstrickt waren. Diese Information habe ich der Polizei gegeben.«
Valentina dachte an ihr Gespräch mit Garelli. Er hatte gesagt, dass Philip Rembrandt ihm das Leben gerettet habe.
»Leider wollte mein Kontaktmann bei der Mafia nur mit mir sprechen. Schließlich konnte ich ihn dazu überreden, mit einem Freund von mir bei der Polizei zu reden. Er hieß Garelli.«
Valentina unterbrach ihn nicht. Sie konnte ihm später von der Verbindung zu dem Polizisten erzählen.
»Aber das war eine Falle. Es gab eine Schießerei. Ich wurde von einer Kugel erwischt und lag mehrere Wochen im Krankenhaus. Deine Mutter war wütend, als sie erfuhr, welcher Gefahr ich uns alle ausgesetzt hatte.«
»Wo hat es dich erwischt?«
Phil tippte auf seine linke Schulter. »Nur eine Fleischwunde, aber sie verschaffte Garelli die Gelegenheit, Verstärkung zu rufen.«
»Wie ist es ausgegangen?«
»Wir haben Caruthers geschnappt und eine ganze Reihe Drogengeschäfte aufgedeckt, uns dabei aber viele Feinde gemacht. Es war zu gefährlich, in Italien zu bleiben. Mattia war bereits in Amerika, also habe ich Tina vorgeschlagen, dass wir ihm entweder nach Amerika folgen oder zusammen nach London gehen, aber sie hatte andere Pläne.«
»Dann wolltest du, dass wir mit dir kommen?«, versicherte sich Valentina.
»Ja, aber deine Mutter bestand darauf, nach Berlin zu ziehen. Sie sagte, ich könne ja kommen, wenn ich wollte.«
»Aber wir sind nicht nach Berlin gegangen. Ich meine, ich erinnere mich vage, dass wir ungefähr eine Woche lang verreist waren, nachdem du uns verlassen hast. Das könnte Berlin gewesen sein, aber am Ende sind wir nach Mailand zurückgekehrt.« Valentina versuchte sich an die Zeit zurückzuerinnern. Als sie ungefähr sechs Jahre alt war, war sie mit ihrer Mutter in eine Stadt gereist. Könnte es Berlin gewesen sein? Tina hatte die Reise ihr gegenüber nie wieder erwähnt.
»Weil ich Mailand vor euch verlasen habe, habe ich nicht gewusst, dass ihr nicht endgültig umgezogen seid. Ich wusste jahrelang nicht, dass ihr noch da wart. Ich habe es erst erfahren, als Mattia wieder Kontakt zu mir aufgenommen hat. Und dann war es wirklich zu spät zurückzukehren. Du warst fast erwachsen, und ich wollte dich nicht durcheinanderbringen.«
»Das hattest du bereits!«, fauchte Valentina. Sie wandte den Blick ab, sie konnte Phils mitleidigen Gesichtsausdruck nicht ertragen. Valentina sah aus dem Küchenfenster. Die Küche befand sich im Souterrain, sodass sie die Füße der Passanten über sich sahen. Obwohl es noch immer regnete, trugen viele Fußgänger Sandalen und dünne Turnschuhe. Optimisten oder Idioten wie sie selbst?, überlegte Valentina und blickte auf ihre eigenen Schuhe –
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