Verborgene Lust
Felix seufzt. »Das ist eine lange Geschichte, Maria.«
» Mein Gott !«, unterbricht Mathilde ungeduldig. »Ich versichere Ihnen, dass mein Mann und ich nicht mehr zusammen sind. Er hasst mich. Die meisten Menschen in dieser Gegend hassen mich.« Sie sieht Maria mit bekümmerter Miene an. Wäre sie nicht Felix’ Frau, hätte Maria Mitleid mit ihr.
»Warum?«, flüstert sie.
»Man sieht in mir eine Verräterin. Während der Säuberungen gegen Ende des Krieges haben diese guten Kommunisten mich auf den Dorfplatz gebracht. Sie haben mir die Haare geschoren und mich nackt ausgezogen, sie …«
»Genug, Mathilde«, fällt Felix ihr ins Wort.
Doch die achtet nicht auf ihn. Sie starrt Maria müde und gehetzt an. »Ich war das, was man einen ›horizontalen Kollaborateur‹ nennt. Haben Sie den Begriff schon einmal gehört?«
Maria erinnert sich an das Gespräch zwischen dem Amerikaner und Vivienne vorhin im Club. »Ja, ich weiß, was das ist.«
Mathilde sieht so harmlos aus, aber sie hat ihren Ehemann betrogen. Sie hat mit einem Deutschen geschlafen, während Felix in der Resistance gekämpft hat. Wie kann er sie noch dulden, geschweige denn beschützen? Maria wendet sich zu ihm um und sieht ihn verwirrt an.
»Als ich herausgefunden habe, was Mathilde getan hat, habe ich dasselbe wie die Dorfbewohner empfunden«, erklärt er. »Ich habe mir gewünscht, meine Frau wäre tot.« Felix wendet den Blick ab und sieht in die Flammen des Kaminfeuers. »Aber dann habe ich erfahren, warum sie es getan hat.«
Einen Augenblick sagt niemand ein Wort. Maria sammelt ihren Mut, sie muss alles verstehen. »Warum haben Sie das getan?«, fragt Maria Mathilde.
Die Frau blickt zu Maria hinüber; sie wirkt jetzt abwehrend, verletzt.
»War es aus Liebe zu einem Deutschen?«, fragt Maria.
Mathilde lacht bitter. »Oh, ja. Aus Liebe. Aber nicht aus Liebe zu dem Mann, mit dem ich geschlafen habe.«
»Wie meinen Sie das?«, hakt Maria nach, aber Mathilde schüttelt den Kopf und weigert sich fortzufahren.
»Als all das geschehen ist, war Felix in Lyon«, schaltet sich plötzlich Olivier ein. »Genau wie Viviennes Mann hatte man ihn festgenommen. Er wurde im selben Gefängnis gefoltert.«
Maria sieht zu Felix, kann jedoch sein Gesicht nicht erkennen, weil er weiterhin ins Feuer blickt und ihr den Rücken zuwendet. Maria kann sich kaum vorstellen, was Felix in dem Gefängnis durchgemacht hat. Viviennes Mann ist gestorben, aber Felix hat überlebt. »Mathilde ist nach Lyon gereist, wo sie sich mit Vivienne getroffen hat. Sie wollte versuchen den Mann, der ihre Ehemänner gefangen hielt, von deren Unschuld zu überzeugen«, fährt Olivier fort.
»Ich spreche Deutsch«, fügt Mathilde hinzu. »Meine Mutter war Deutsche. Ihre Sprache zu können war während des Kriegs ein großer Vorteil.«
Maria kann sich vorstellen, was in Lyon passiert ist, wie es dazu kam, dass Felix befreit wurde und Viviennes Mann nicht.
»Ich habe mit ihm geschlafen«, erklärt Mathilde ruhig. »Es war die einzige Möglichkeit.«
»Mathilde hat Felix das Leben gerettet, Maria«, sagt Olivier. »Aber leider wollte der Deutsche Mathilde als seine Mätresse. Es hat ihm nicht gereicht, nur einmal mit ihr zu schlafen. Sie hat es getan, damit ihr Mann nicht noch einmal in Gefangenschaft gerät.«
Maria blickt hinüber zu der einfachen kleinen Frau auf dem Sofa. Es fällt ihr schwer, sich vorzustellen, dass ein hoher Gestapomann sie derart begehrt hat, aber vielleicht bestand ihre Anziehungskraft darin, dass sie Felix’ Frau war.
»Erst kürzlich hat ein kommunistisches Säuberungskommando Mathildes Leben bedroht«, meldet sich René aus einer Ecke des Raums. Maria hat seine Anwesenheit fast vergessen. »Deshalb ist sie momentan hier. Solange Felix Leduc mit ihr verheiratet ist, wagt niemand, ihr etwas anzutun. Wenn er sie aber wegschickt …«
Diese Frau liebt Felix. Wie soll Maria da mithalten? Mathilde hat ihre Seele an den Teufel verkauft, um den Mann zu retten, den sie liebt. Mathilde sieht sie unerschrocken aus ihren blauen traurigen Augen an. Maria dreht sich zu Felix um, und zu ihrer Überraschung betrachtet er seine Frau mit Abscheu.
»Ich schulde es Mathilde, sie zu beschützen. Ja, das stimmt. Aber ich kann ihr nicht vergeben, was sie getan hat.«
Seine Worte scheinen Mathilde zu treffen. Sie senkt den Blick und starrt auf den Boden, ihre blassen Wangen leuchten plötzlich dunkelrot.
»Felix, sie hat dir das Leben gerettet«, protestiert Olivier.
»Ich
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