Verborgene Lust
nähert sich dem Mythos auf andere Weise als der Tanz. Die Pandora von Louise Brooks ist eine liebenswerte Frau, die eher unfreiwillig zur Verführerin wird. Sie kann nichts dafür. Und dennoch fällt sie am Ende ihrem Verlangen nach intimen Beziehungen, ihrer starken Sexualität zum Opfer. Sie schafft es nicht, ihr zu widerstehen, und gerade das macht sie unwiderstehlich. Wenn es eine männliche Version der Pandora gäbe, so stellt Maria sie sich wie Felix nur in jünger vor. Er hat etwas gefährlich Verführerisches. Sie weiß, dass er nicht gut für sie ist, dennoch begehrt sie ihn. Ihr Verstand sagt ihr, dass er zu alt für sie ist und sich nicht lange mit einem schüchternen Gutenachtkuss zufriedengeben wird. Ganz offensichtlich eignet er sich nicht zum Ehemann. Er hat keine feste Stelle und verfügt offenbar weder über Geld noch über Besitz. Trotzdem kann sie seiner Gesellschaft nicht widerstehen. Wenn sie zusammen ausgehen, bemerkt sie, wie die anderen Frauen ihn ansehen. Das bringt sie innerlich auf die Palme. Am liebsten würde sie ihnen die Augen auskratzen und ihnen zurufen: Er gehört mir ! Er gehört mir!
Doch er gehört ihr keineswegs. Ihre Begegnungen sind zufällig und immer von ihm initiiert. Es kann sein, dass er auf dem Nachhauseweg von der Tanzschule plötzlich auftaucht. Auf einmal steht er auf der Türschwelle. Er sagt nichts und geht einfach neben ihr her. Marias Herz beginnt zu flattern, und vor Freude steigt ihr die Röte in die Wangen, dennoch bemüht sie sich, die Fassung zu bewahren. Es kann sein, dass sie die ganze Kennington Road hinuntergehen und sogar noch die Westminster Bridge überqueren, bevor er zu sprechen beginnt. Er nimmt Marias Hand, hält sie fest und führt sie fort von zu Hause – am Embankment entlang, die Strand hinauf in das Labyrinth von Covent Garden und ganz bis hinunter zur Charing Cross Road. Nachdem sie die Orientierung verloren hat, er sie weit weg von den heimatlichen Gefilden geführt hat, legt er den Kopf schräg.
»Tee, Miss Brzezinska?«
In einem schäbigen verrauchten Teesalon gegenüber der Foyles Buchhandlung starren sie einander in die Augen, lassen ihren Tee kalt werden und rauchen eine Zigarette nach der anderen. In Felix’ Augen erkennt Maria die Ankündigung dessen, was sie bei Joan und Louis beobachtet hat. Bei der Vorstellung, dass dieser Mann nackt die Kontrolle über sie hat, ballt Maria die Hände und gräbt die Fingernägel in ihre Handflächen. Sie ist nicht sicher, ob sie der Gedanke ängstigt oder erregt. Felix ist ein richtiger Mann. Kein Junge wie Guido, dessen Avancen sie leicht abwehren kann. Sie ist in Felix’ Netz gefangen. Wenn er sich dazu entschließt, wird sie ihm nicht widerstehen können. Will sie das?
Sie weiß es noch nicht. Wenn sie ehrlich ist, will sie, dass er sich um sie kümmert. Ihre Mutter und Pina wären angesichts dieses Wunsches sicher entsetzt. Man hat ihr beigebracht, ohne Mann auszukommen. Belle wollte auf gar keinen Fall, dass ihre Tochter je in eine so schreckliche Ehe geriete wie sie. Signor Brzezinski war ein brutaler Kerl gewesen, der seine Frau und Pina, Belles ehemaliges Mädchen, geschlagen hatte. Belle war vor ihrer unglücklichen Ehe in ein Doppelleben als Prostituierte geflüchtet. Dadurch hatte sie die Liebe ihres Lebens, Santos Devine, Marias Vater kennengelernt. Zum Glück hatte Signor Brzezinski sein ganzes Geld beim Crash an der Wall Street verloren und sich deshalb das Leben genommen, wodurch Belle ihre Freiheit erhielt. Leider kam das zu spät für sie und Santos, der bereits im Nebel der venezianischen Lagune verschwunden war. Doch Belle hatte ihre Freiheit mit beiden Händen ergriffen und mit Pina einen Hausstand gegründet. Nie mehr hatte sich Marias Mutter einem Mann unterworfen. Doch Maria wünscht sich insgeheim, für einen Mann im Mittelpunkt zu stehen, von ihm begehrt zu werden.
Felix mag zwar in einer bescheidenen Wohnung leben, aber Maria hat das Gefühl, dass er in seiner Welt ein wichtiger Mann ist. Tagelang verschwindet er und deutet an, dass er an Filmen arbeitet. Er erzählt, er fahre nach Paris, wo er andere Künstler und Schriftsteller träfe, und Maria wünschte, er würde sie einladen, ihn zu begleiten.
»Warum lebst du in London?«, fragt sie ihn. Es ist ihr ein Rätsel, warum Felix nicht zu seinen Landsleuten zieht.
Er setzt sich zurück, kneift die Augen zusammen, zieht an seiner Zigarette, dann beginnt er langsam zu sprechen:
»Ich wahre gern eine gewisse
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