Verborgene Macht
mir vorstellen«, sagte Ranjit. »Trotzdem, du hast da eine ziemlich erstaunliche Freundin.«
»Sie ist sehr mutig«, erwiderte Cassie leise. »Mutiger, als ich es wäre. Wie dem auch sei, morgen haben wir einen Termin bei Sir Alric. Isabella und ich. Er wird uns unsere erste ... ähm, Einweisung geben.«
»Gut. Du wirst dich leichter an den Gedanken gewöhnen, eine von uns zu sein, wenn du Bescheid weißt, wie du dich nähren kannst.«
Angesichts seiner Wortwahl trat sie unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Eine von uns.« Es erinnerte sie daran, dass Ranjit genau wie die finsteren Kapuzengestalten, die während des Rituals in der Dunkelheit gelauert hatten, ein Mitglied der Auserwählten war. Er hatte ein wenig über die dunkle Natur des Geistes in ihm gesprochen, über den »Zusammenprall zweier Persönlichkeiten« - ein böser Geist in einer guten Person. Wie Cassie und Estelle. Verliebte sie sich in ein Ungeheuer?
Tat er das?
Natürlich nicht, meine Liebe...
Cassie verkrampfte sich. Auf dem Weg zur Treppe spürte Ranjit ihr Unbehagen.
»Cassie... Ich weiß, für dich liegen die Dinge ein wenig anders, und du wirst eine Weile brauchen, um dich daran zu gewöhnen, aber ich verspreche dir, es ist nicht alles schlecht.«
»Du hast leicht reden - dein Geist unterbricht ja auch nicht deine Gedanken, wann immer es ihm beliebt.« Sie drehte sich um und schenkte ihm ein halbherziges Lächeln, konnte es aber nicht aufrechterhalten. Plötzlich fühlte sie sich mutlos.
»Auch wenn du mit der Natur deines Geistes kämpfst, seid ihr trotzdem eine Einheit. Ich dagegen bin selbst unter den Außenseitern eine Außenseiterin. Und ich bin anders als ihr alle. Ihr seid reich, weltgewandt, privilegiert. Und zudem bin ich auch noch eine Stipendiatin...« Ihre Stimme verlor sich. Sie blieb am oberen Ende der Treppe stehen und holte bebend Luft. Einige Menschen drängten sich an ihnen vorbei, während sie dastanden und einander ansahen. Ranjit ergriff ihre Hände.
»Du...«, er beugte sich zu ihr vor, »musst aufhören, dir solche Sorgen zu machen. Ich bin vielleicht nicht in der Lage, mit meinem Geist zu reden, aber ich bin trotzdem auf deiner Seite. Und ich habe durchaus eine gewisse Vorstellung davon, was du durchmachst. Ob du es glaubst oder nicht, ich rausche nicht einfach sorgenfrei durchs Leben.« Er versuchte nur, sie zu trösten, aber etwas in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Für einen Moment schloss er die Augen und schwieg. Als versuche er, etwas auszublenden. Ohne dass er die Augen wieder öffnete, fanden seine Lippen die ihren. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er sie wieder losließ. Aus Cassies Mund drang ein leises Wimmern. Oder war es nur in ihrem Kopf...?
Schließlich griff er wortlos nach ihrer Hand und führte sie die Treppe hinunter. Als sie unten ankamen, vergaß sie für einen Moment all ihre Probleme.
»Oh, wow«, flüsterte Cassie.
Sie standen in der Hauptbahnhofshalle der Grand Central Station, genau unter deren kultiger Uhr. Um sie herum schwärmten Pendler und Touristen durch die riesige Halle, aber Cassie hatte nur Augen für die kolossalen Bogenfenster, die eleganten Steinmetzarbeiten und vor allem die extravagante, wunderschöne Deckenbemalung.
Als ihr vom langen Hinaufschauen schwindelig wurde, senkte sie den Blick und sah Ranjit an. »Es ist der Tierkreis.«
»Ja.« Ranjit hatte eine Hand unter ihren Ellbogen gelegt, um sie zu stützen. »Verkehrt herum gemalt. Siehst du?«
»Keine Ahnung. Tatsächlich?«
»Es war ein Versehen. Die Familie Vanderbilt hat das Werk zu Beginn des letzten Jahrhunderts in Auftrag gegeben. Als der Irrtum entdeckt wurde, haben sie behauptet, dass es Absicht gewesen sei. Es sei, als würde man auf die Sterne hinabschauen, haben sie gesagt. Eine Gottesperspektive.«
Langsam blickte Cassie um sich und nahm ihre Umgebung wahr. »Das gefällt mir«, murmelte sie. »Eine Gottesperspektive. Wie passend.«
»Also schön, Cassie Bell. Jetzt, da wir unser erstes peinliches Date hinter uns haben...«
»Hmmm?« Peinlich traf es.
»Darf ich dich bitte noch einmal ausführen?« Er stieß die Worte hastig hervor. »So richtig, meine ich.« Sein verlegenes Lächeln gab ihr den Rest. »Am Valentinstag?«
Cassie holte tief Luft. Sie hatte noch nie ein richtiges Valentinsdate gehabt. Tatsächlich hätte sie den Tag vollkommen vergessen, wären nicht sämtliche Schaufenster mit Arrangements aus Herzen und Blumen dekoriert gewesen.
»Okay«, sagte sie
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