Verborgene Macht
Cassie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden Ereignisse irgendwie zusam-
enhingen. Sie hatte überlegt, ob sie Ranjit danach fragen sollte. Aber sie wusste, wie sehr es ihn verstörte, dass Cassie Estelles Stimme hören konnte, und sie wollte nicht, dass er sich noch unbehaglicher fühlte.
Cassie seufzte und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm vor ihr. Vielleicht konnte Jake ihr helfen - neuerdings schien er an seinem Laptop festzukleben, sowohl im Unterricht als auch in seiner Freizeit. Sie hatte ihn niemals für einen Computerfreak gehalten, aber vielleicht ...
Sie glitt von ihrem Stuhl und eilte leise durch den Raum, wobei sie versuchte, den umherschweifenden Blick von Mr Jackson zu meiden.
»Hey, Jake, kannst du ...«
»Cassie!«
Jake fuhr zusammen, als stünde der Leibhaftige hinter ihm. Er lief dunkelrot an und überschlug sich förmlich, das Fenster auf seinem Bildschirm zu minimieren. Doch Cassie hatte noch genug Zeit, erstaunt die Überschrift der Seite zu lesen.
SCHÜLERAKTEN DER DARK ACADEMY -VERTRAULICH
»Jake, was war das?«, fragte Cassie scharf.
»Verdammt Cassie«, erwiderte Jake und versuchte, das Ganze mit einem Lachen abzutun. »Du hast mir einen mörderischen Schrecken eingejagt.«
»Du solltest die erste Seite unseres Webauftritts entwerfen und dich nicht in die Schulakten einhacken.« Cassie seufzte entnervt, während sie ihm die Maus aus der Hand nahm. »Was machst du da überhaupt? Versuchst du, deine Chemiezensuren zu verbessern?«
»Hey, lass das...«, protestierte Jake. »Mensch, Cassie...« Entrüstet warf er die Hände hoch, als Cassie das Fenster öffnete.
Ihr Magen schlug einen Purzelbaum. Sie wandte sich zu Jake um, aber er starrte auf den Tisch und vermied es, ihr in die Augen zu sehen.
»Jake, hast du eine Ahnung, welchen Ärger du dir damit einhandeln könntest?«, fragte Cassie. »Das ist Katerinas persönliche Akte! Was zum Teufel hast du vor?«
»Lass es einfach gut sein, Cassie. Es geht dich nichts an.«
»Es geht mich nichts an? Sie hat versucht, mich umzubringen - falls du dich erinnerst?«
Jakes Augen flammten auf. »Ja. Und soll ich dir was sagen? Meine Schwester hat sie umgebracht. Falls du dich daran erinnerst. Hast du gedacht, ich würde das einfach auf sich beruhen lassen?«
»Jake, wir haben doch schon darüber gesprochen ...«
»Sie hat es zugegeben, Cassie! Sie hat uns gesagt, dass sie sie umgebracht hat, und sie hat gelacht. Und was tut Dark? Er verweist sie von der Schule, sonst nichts. Ist das fair? Vielleicht finden die Auserwählten es ja fair, aber ich hänge ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit nicht an.«
Kalte Furcht umklammerte Cassies Eingeweide. »Du hast doch nicht etwa vor, nach ihr zu suchen, oder, Jake? Sag mir, dass du das nicht tun wirst.«
»Stell mir keine Fragen, Cassie, dann werde ich dich nicht anlügen.«
»Jake, hör mir zu.« Cassie mühte sich, so vernünftig wie möglich zu klingen. »Versprich mir, dass du damit aufhören wirst. Bitte. Wir wissen beide, dass Katerina Jess getötet hat. Aber wir können es nicht beweisen. Es ist unmöglich, selbst wenn du sie findest.«
Jake stieß einen verbitterten Seufzer aus. »Im Augenblick wäre ich schon damit zufrieden, sie einfach nur zu finden, Cassie. Aber das ist leichter gesagt als getan. Die schwedische Adresse in dieser Akte habe ich bereits überprüft. Die Svenssons haben das Haus vor einem Monat verkauft und sind weggezogen. Ohne Nachsendeadresse.«
Eine Woge der Erleichterung schlug über Cassie zusammen. Das Netzwerk der Auserwählten war so verzweigt, dass Jake Katerina nie finden würde, wenn sie nicht gefunden werden wollte.
»Bitte, Jake, ich weiß, es ist hart. Aber du musst loslassen.«
Jake sah sie entschuldigend an. »Ich kann nicht, Cassie. Das schulde ich Jess. Ich werde Katerina finden. Sie wird für das, was sie getan hat, bestraft werden. Ich schwöre es.«
»Mr Johnson? Ms Bell? Mir war gar nicht klar, dass Sie zusammen an diesem Projekt arbeiten?«
Bei der Stimme ihres Lehrers zuckte Cassie zusammen.
»Ähm, nein... Entschuldigung, Mr Jackson, ich habe Jake nur nach einer Kleinigkeit der HTML-Syntax gefragt«, murmelte sie.
»Auch auf die Gefahr hin, dass Sie mich für altmodisch halten - ich denke, es ist üblich, Fragen im Unterricht an den Lehrer zu richten.«
»Ja, Sir«, antwortete Cassie leise und knirschte mit den Zähnen.
»Also, warum gehen Sie nicht zu Ihrem Platz zurück, und ich werde sehen, ob ich Ihnen
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